Tris Genoske wollte ursprünglich Zoologie studieren und landete schließlich über den Job als Küster:in im Theologiestudium. "Der Beruf der Pfarrperson hat mir so gefallen, und ich habe ja alles, was in der Pfarrgemeinde passiert, mitbekommen." Der Wunsch, Pfarrer:in zu werden, ist inzwischen gar nicht mehr so stark, dafür aber umso mehr der Wille, Kirche attraktiver und zugänglicher zu machen. Tris engagiert sich seit zwei Jahren für LGBTIQ in der evangelischen Kirche, zum Beispiel in der Queeren Kirche Köln.
Tris ist 24 Jahre alt, intergeschlechtlich, lebt nichtbinär und identifiziert sich als schwul. Tris arbeitet im Leitungsteam des Zentrums Geschlechterwelten und Regenbogen für den Deutschen Evangelischen Kirchentag und hat eine Ausbildung in Seelsorge für Palliativstationen gemacht.
Katharina Payk: Du bist evangelisch getauft, aber eigentlich katholisch aufgewachsen. Du gingst auf eine katholische Klosterschule. Wie war das dort als queere:r Jugendliche:r?
Tris Genoske: Ich habe in der Schule ganz starke Diskriminierungserfahrungen gemacht, aber nie von Mitschüler:innen, sondern durch Lehrpersonen, die zum Teil auch Geistliche waren. Ich konnte mir einiges anhören über meine lackierten Fingernägel, zum Beispiel, ich würde aussehen wie ein Clown. Und auch alles, was die katholische Dogmatik hergibt, um queere Menschen zu diskriminieren. Zum Beispiel AIDS ist die gerechte Strafe Gottes für Homosexualität. Oder du bist vom Teufel. Deswegen war es nie die Theologie, die mich gecatcht hat, weil ich immer dachte, da hab‘ ich ja keinen Platz. Aber den Pfarrberuf fand ich super, vor allem weil man da mit alten und mit jungen Leuten arbeitet.
K.P.: Wie war das dann, als du anfingst, Theologie zu studieren?
T.G.: Das war das Beste, was mir hätte passieren können. Ich wollte früher ja ins Naturwissenschaftliche gehen und war also sehr ahnungslos, als ich das Theologiestudium anfing. Ich dachte früher, das kann ja nicht so schwer sein, da sitzt man im Stuhlkreis und liest sich die Bibel vor (*lacht*), aber dann kam gleich der Hebräischkurs und ich dachte "uh, there’s a little kick", denn da war klar, hier muss man echt was leisten.
Ich hatte gar kein theologisches Vorwissen, weil es ja immer geheißen hat: Du hast hier eh nichts zu suchen.
K.P.: Was hat dich bisher am meisten fasziniert im Theologiestudium?
T.G.: Ich habe viel Schleiermacher und Tillich gelesen. Bei Paul Tillich in "In der Tiefe ist Wahrheit" kann ich mich gut wiederfinden … wenn dich etwas so packt, etwas dich ganz tief reißt und schüttelt, weil du vorher dachtest, so ist es und so muss es sein, und dann ist alles ganz anders. Zum Beispiel die Art und Weise, wie man sich Realität konstruiert oder Sinn gibt im Leben. Da passt queere Theologie gut rein, oder Theologie allgemein. Für mich ist es das prozesshafte Wahrnehmen; der Weg zur Wahrheit ist ein Prozess. Ich dekonstruiere immer wieder, was ich wahrnehme: Kirche, evangelische Theologie, katholische Theologie …
K.P.: Du wendest also Tillich an, um Theologie oder Kirche zu queeren?
T.G.: Ja, ich sage immer "hier stehe ich, ich kann nicht anders" als Theologie zu queeren, weil ich nun mal queer bin. Und das ist natürlich ein großer Teil meiner Identität. Und die heteronormative Theologie ist für bestimmte Gruppen sicher geeignet, aber für mich einfach nicht. Für mich ist es wichtig, kreativ zu werden in der Theologie, auch mit Dogmen.
K.P.: Gibt’s Normen in der christlichen Lehre, die Du besonders gut findest?
T.G.: Du stellst Fragen! (*lacht*) Also, das Liebesgebot ist ja schon ein Schlager! Sich selbst aufopfernd in Liebe für andere verhalten – das ist ein Allrounder, der geht immer! Und hier geht’s darum, dass man es auch wirklich tut und nicht nur sagt.
K.P.: Und in der Queeren Kirche Köln tut ihr das ja auch. Dort bist du engagiert und warst sogar Praktikant:in. Ich kenne euch vor allem über Instagram.
T.G.: Ja, genau. Die Queere Kirche Köln gibt es seit Januar 2023, ich kam für den Monat März für mein Gemeindepraktikum dazu. Das Projekt ist ein Erprobungsraum innerhalb der Evangelischen Kirche im Rheinland.
K.P.: Versteht ihr euch als Gemeinde?
T.G.: Mehr noch, würde ich sagen. Wir verstehen uns als eine Bewegung, die nicht parochial organisiert ist. Derzeit sind wir in der Evangelischen Pfarrgemeinde in Köln-Deutz, wo der Leiter der Queeren Kirche Köln, Pfarrer Tim Lahr, auch eine Pfarrstelle hat.
K.P.: Erzähl doch mal, was ihr so macht in der Queeren Kirche Köln!
T.G.: Wir machen queere Gottesdienste und Partys. Der Hauptfokus liegt auf Social Media, da habe ich viel gelernt, als ich das Praktikum gemacht habe. Ich konsumiere ja schon mehrere Stunden am Tag Social Media, aber ich hab‘ davor noch nie ein Reel gedreht oder so. Und plötzlich hatten wir Fototermine und haben Texte für Videos für TikTok geschrieben. Wir haben z.B. überlegt, wie wir ein Weltfrauentagsposting machen. Wir haben auf einem ganz professionellen Level Social Media gemacht. Das war ganz neu für mich und ich fand das voll cool.
Dann machen wir noch die "Queer-as-Hell"-Parties, die finden in einem ehemaligen Kloster, das heute eine evangelische Kirche ist, statt. Ich war schon immer ein:e Partygänger:in. Aber ich fand "Partys" in der Kirche immer cringe. Ich erinnere mich an Konfirmand:innenfeiern in der Kirche – das war das Unangenehmste der Welt für mich! (*lacht*)
K.P.: Aber bei der "Queer as Hell" war es nicht awkward?
T.G.: Nein, ganz und gar nicht. Wir haben eine richtige Lasershow, mehrere Dancefloors, Nebelmaschinen, eine richtige Bar, gute DJs. Und inzwischen kommen mehrere hundert Leute! Für die Karnevalsparty – wir sind ja alle Kölsche Jecken – wurden über 300 Tickets verkauft. Wir sind die größte queere Party Kölns!
K.P.: Was läuft da so für Musik auf der Kirchenparty? Heavy Metal, Techno …?
T.G.: Na ja, bei Karneval halt die ganzen Schlager (*fängt an zu singen*): "Der liebe Jott weiß, dat ich kein Engel bin" – kennste dat? Ist von de Höhner. Also, Karneval vermiss‘ ich hier in Wien sehr.
K.P.: Welche Erfahrungen machst du als queerer, zumal nichtbinärer Mensch in der Kirche?
T.G.: Meistens wissen die Menschen über das Nichtbinäre nicht viel. Oft bemühen sie sich, die richtigen Pronomen zu verwenden, aber das misslingt meistens. Ich bin da aber auch nicht so streng.
Kirche ist aber sehr unterschiedlich. Es kommt auch darauf an, wie ich mich kleide. Inzwischen ziehe ich – für meine Verhältnisse – eher heteronormative Kleidung an. Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag Highheels und Kleider anziehen, aber ich tone es down, weil ich ja die Zeit in Wien noch überleben will – und ich fahre ja manchmal mit der U6 (*lacht*). Jedenfalls wurde ich, selbst wenn ich gedeckte Kleidung und keine Schminke trage, in der Kirche schon aufgrund meines Aussehens beschämt. Man wird als "Paradiesvogel" abgestempelt, als würde man mit einer orangenen Perücke à la Olivia Jones zu einer Beerdigung kommen.
K.P.: Das klingt sehr verletzend, was Du erzählst …
T.G.: Ja, oft ist ja ein großes Interesse für queere Themen da, aber großes Unwissen, zum Beispiel zum Thema Intergeschlechtlichkeit. Ich empfehle dann Einstiegsbücher, wie z.B. von Andreas Krebs "Gott queer gedacht".
Ich werde hier in Wien genau wie in Deutschland im kirchlichen Kontext oft falsch gegendert. Meistens macht es mir nichts aus, aber es gibt schon Situationen, wenn man sich eh schon so zusammenreißt, dann tut das weh, dann ist es zu viel.
In Österreich nehme ich das a&o-Prädikat wahr, für queerfreundliche Gemeinden. Das gefällt mir. Aber dann erzählt mir ein Kommilitone, dass seine (Land-)Gemeinde dieses Prädikat gar nicht wollte, weil man das nicht so explizit machen will und "ja eh alle wissen, dass wir offen sind". Und das ist ähnlich wie in Deutschland: Es ist oft überhaupt keine Awareness und kein Problembewusstsein dafür da.
Es wäre wichtig, dass Gemeinden, Gruppen oder Amtspersonen queere Menschen mit entsprechendem Wissen und Kompetenzen direkt ansprechen und Angebote zur Sensibilisierung wahrnehmen.
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