Die Kulisse für die Taufe von Emilia ist spektakulär: Über dem Altar erhebt sich der "City Star", ein 65 Meter hohes Riesenrad, 350 Tonnen Gesamtgewicht, 48 Gondeln, weithin leuchtendes Wahrzeichen der Osterwiese auf der Bremer Bürgerweide. Die Gemeinde hat sich auf dem Portal des Karussells versammelt, denn heute soll die Tochter der "City-Star"-Betreiber, die gerade ihren ersten Geburtstag gefeiert hat, den Segen Gottes erhalten - mitten im Frühjahrs-Rummel zwischen Schmalzkuchen-Bude, Mankes "Eis wie Sahne" und der "Chaosfabrik", einem Laufgeschäft in schrillen Farben.
Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm, denn am Vortag des Osterwiesen-Starts haben die Fahrgeschäfte noch nicht geöffnet. Die Eltern von Emilia, Sebastian und Jill Göbel, fiebern jetzt dem Gottesdienst entgegen. Sie sind im rheinhessischen Worms zu Hause und haben schon lange einen engen Draht zur evangelischen Schaustellerpfarrerin Christine Beutler-Lotz (65), die selbst aus ihrer Heimat kommt. "Sie hat uns getraut und James, den heute dreijährigen Bruder von Emilia, auf dem Riesenrad getauft", erzählt Sebastian Göbel (35). Jetzt ist die Pfarrerin aus der hessisch-nassauischen Landeskirche für die Taufe von Emilia extra nach Bremen angereist.
Unter dem Riesenrad hat sie neben der silber-glänzenden Taufschale einen Altar aufgebaut, mit Kerzen, Parament, Bibel, frischen Lilien und natürlich einer Taufkerze. Im Talar und mit Beffchen und Stola, geschmückt mit Symbolen wie einem Zirkuswagen und einem Karussell, begrüßt sie die Gemeinde, die auch aus der norddeutschen Schaustellerfamilie Stummer kommt. "Schön, dass wir heute die Taufe von Emilia feiern können", ruft sie den Gästen zu, die ihr mit einem lauten "Halleluja" antworten.
"Für uns Schausteller gehört die Kirche einfach dazu", sagt Jill Göbel (27), die ihren Mann auf der Bremer Osterwiese kennengelernt hat. "Und so lange ich mit Sebastian zusammen bin, so lange kenne ich auch schon Christine. Bei ihr fühlen wir uns immer sehr gut aufgenommen." Die Göbels sind in der sechsten Generation Schausteller, betreiben mehrere Fahrgeschäfte und sind europaweit unterwegs. "Wir haben enge Verbindungen zur Kirche - und Gottes Segen ist uns wichtig", betont auch Sebastian Göbel.
"Gott gibt vielen Schaustellern Halt, er ist für sie in einem Alltag voller Unsicherheiten eine wichtige Konstante."
"Wenn man immer unterwegs ist, braucht man Bodenhaftung", sagt Christine Beutler-Lotz. "Gott gibt vielen Schaustellern Halt, er ist für sie in einem Alltag voller Unsicherheiten eine wichtige Konstante", meint die Theologin, die selbst aus einer Schaustellerfamilie stammt. Sie kennt das Leben der Menschen, die sie seit 1981 seelsorgerlich begleitet. "Ich habe früher Lose verkauft und habe schon früh den Zusammenhalt auf dem Volksfest erlebt. Das ist wie eine große Familie", bekräftigt sie.
Bundesweit zählt die evangelische Gemeinde auf der Reise mehr als 20.000 Mitglieder, sagt der Leiter der Circus- und Schaustellerseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Pastor Torsten Heinrich. "Dazu gehören Artisten, Schausteller, Puppenspieler und reisende Marktkaufleute." Seelsorgerlich betreut werden sie in einem Netzwerk, in dem bis auf Heinrich alle ehrenamtlich oder mit einem Auftrag neben einem Hauptjob unterwegs sind. Christine Beutler-Lotz ist mit ihrer ganzen Stelle eine Ausnahme und wird von ihrer Landeskirche bezahlt.
In diesem Jahr feiert die evangelische Schaustellerseelsorge im Oktober in Hannover ihr 50-jähriges Bestehen. Doch der Dienst steht angesichts der abnehmenden Finanzkraft der Kirchen möglicherweise vor dem Aus. Laut Torsten Heinrich gibt es einen Beschluss der EKD-Synode, nach dem die Mittel für die Circus- und Schausteller-Seelsorge um 71 Prozent gekürzt werden. Eine Sprecherin der EKD sagt dazu auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), geprüft werde die Möglichkeit der Kofinanzierung und Verlagerung in eine oder mehrere Landeskirchen. "Hier läuft ein Abstimmungsprozess."
Bei der Taufe von Emilia spielt die finanzielle Krise der Schaustellerseelsorge keine Rolle. "Danke für diesen schönen Tauftag" singt die Gemeinde unterm Riesenrad, das in der Sonne weiß strahlt. Und in Abwandlung eines Kult-Schlagers von Drafi Deutscher: "Marmor, Stein und Eisen bricht, aber Gottes Liebe nicht."