Die ersten Episoden waren ähnlich wie der "Tatort" aus Dortmund vor allem durch das Mit- und Gegeneinander im Präsidium geprägt. Seit dem Abschied von Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel in Folge 20 (2022) und dem Einstieg ihrer Nachfolgerin Sophie Pfennigstorf hat sich die Ausrichtung der Geschichten deutlich geändert. Das gilt vor allem für die zentrale Konstellation.
Karl Hidde (Alexander Held), seit dem zweiten Film dabei und mittlerweile Kripochef, sowie Kriminalhauptkommissarin Jule Zabek bilden in jeder Hinsicht das klassische Duo "Alter Hase, junger Hüpfer": Er agiert besonnen und mit väterlicher Strenge, sie will mit dem Kopf durch die Wand. Das klingt abgedroschen, hat aber durchaus seinen Reiz, zumal Jule eher Punk als Polizistin ist und zu jungen Zeuginnen und Verdächtigen einen ganz anderen Draht findet als ihr Chef.
Die Handlung des vierten gemeinsamen Falls für Hidde und Zabek wird dagegen zunächst konventionell. Das ändert sich, als Regisseur Lars Henning und das inklusive ihm selbst vierköpfige Autorenteam zum eigentlichen Thema kommen. Anfangs geht es jedoch um klassische Polizeiarbeit: Nach dem Fund einer männlichen Leichen am Ufer führt die Strömungsspur zu einer Angelanlage und einem nahen Feriendomizil. Das Haus ist gründlich gereinigt worden, aber wozu gibt es schließlich Luminol, sodass kein Zweifel besteht: Hier ist der Mann erschlagen worden. Angesichts der unumstößlichen Fakten bleibt Hausmeister Block nichts anderes übrig, als die Tat zu gestehen; Fall erledigt, die Akte kann geschlossen werden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Selbstverständlich ist die Angelegenheit ungleich komplizierter. Hidde und Zabek ahnen umgehend, dass Andy Block jemanden schützen will, und nun wird’s interessant: Der ehemalige Sportler war einst in Stralsund eine lebende Legende. 1988 hat er als Gewichtheber eine olympische Silbermedaille gewonnen. Dann kam eine Verletzung und kurz drauf die Wende. Heute ist er in Vergessenheit geraten, hat Asthma und nur noch eine halbe Niere. Laut ärztlicher Prognose müsste er schon längst tot sein; kein Wunder, dass er die Tat bedenkenlos auf sich nehmen konnte. Die Frage ist nun natürlich, für wen dieser von Andreas Anke sehr berührend als tragische Figur verkörperte schwerkranke Mann ins Gefängnis gehen würde. Sein angebliches Opfer ist ein Sportjournalist, in dessen Hotelzimmer Zabek einen versteckten Umschlag mit 20.000 Euro entdeckt.
Licht ins Dunkel dieses auch optisch düsteren Films bringt Henning, der bereits Zabeks ersten Auftritt geschrieben und inszeniert hat, mit Hilfe einer Frau, die sich am Mordabend mit dem Journalisten in einer Kneipe getroffen hat: Silvana Hildebrandt (Irina Potapenko) ist die Tochter einer Schwimmerin, die 1989 an Herzversagen gestorben ist; so steht es zumindest im Totenschein. Darüber wundert sich nicht nur Jule Zabek: eine Leistungssportlerin mit schwachem Herzen? Damit sind Henning und seine Koautoren (Daniel Schwarz, Thomas Schwebel, Jan Paul Bachmann) bei ihrem Thema: Es geht ums Staatsdoping der DDR. Viele Betroffene leiden bis heute unter den Spätfolgen. Strafrechtlich sind diese Vergehen allerdings längst verjährt. Silvana, die nach dem Tod ihres Großvaters das Trainingsbuch ihrer Mutter entdeckt hat, ist offenbar auf eine andere Form von Gerechtigkeit aus.
Klugerweise haben Henning und sein Team auf schlichte Schwarzweißmalerei verzichtet; eine Ärztin (Katrin Pollitt) zum Beispiel bereut ihre Beteiligung an den damaligen Vergehen zutiefst. Weil aber nicht alle Verantwortlichen so einsichtig sind, kommt es schließlich zu bleihaltigen Finale, für das Henning einen reizvollen Schauplatz gefunden hat: Block wird zwar observiert, kann seinen Plattenbau jedoch ungehindert verlassen, weil mehrere Wohnblöcke durch ein unterirdisches Tunnelsystem miteinander verbunden sind. Hier hat er sich einen Trainingsraum eingerichtet, hier versteckt er auch Silvana. Als sie, vom Schurken gejagt, für einen Kurzschluss sorgt, wird es prompt zappenduster.
Die Bildgestaltung ist ohnehin interessant: Henning und Kameramann Carol Burandt von Kameke haben dem Film gerade bei den Innenaufnahmen einen leicht grünlich Gelbstich verpasst, der zusammen mit dem Nebel bei den Panoramaaufnahmen der Stadt für die passende unbehaglich kühle Atmosphäre sorgt.