Mitten im März. Die Fastenzeit hat vergangene Woche begonnen. Traditionell eine bewusste Anders-Zeit im Kirchenjahr. Innehalten. Die inneren asphaltierten Straßen verlassen und schauen, wo neue Bedürfniswege entstehen können. 7 Wochen ohne. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche hat sich in diesem Jahr das Motto "Luft holen! 7 Woche ohne Panik" gegeben. Was soll ich sagen? Ich fühl’s dieses Jahr besonders. Die Sehnsucht befreit durchatmen zu können. Der Beklemmung ein Schnippchen schlagen. Und mit meiner Kollegin Birgit Mattausch in Ein Lob auf das Weniger. einstimmen.
Dicht ist diese Zeit politisch gesehen ganz bestimmt: Die international schon lange zu beobachtende Unwucht nach rechts ist nach der Bundestagswahl mit den Händen zu greifen. Die antifeministischen und queerfeindlichen Kräfte und Taktgeber haben sich gut positioniert. Ich spüre es in meinem eigenen Leben so deutlich wie lange nicht mehr. Mich begleiten in diesen Tagen ganz existenzielle Fragen: Lasse ich jetzt noch schnell meinen Geschlechtseintrag ändern, bevor das Selbstbestimmungsgesetz vielleicht wieder abgeschafft wird? Obwohl ich mir mit den Fragen, die dazu gehören, noch Zeit lassen wollte? Gefährde ich dadurch meine Einreise in die USA im kommenden Jahr und kann die gewünschte Konferenz doch nicht besuchen? Und was ist mit der Adoption meines Kindes, die bei uns zu Hause läuft? Gefährdet das den Prozess? Da ist richtig Druck im zeitgeschichtlichen Kessel. Den beobachte ich nicht nur an mir. Ich spüre es auch in der Community. Der Minderheitenstress kickt in diesen Tagen doppelt rein. Und dabei bin ich mir bewusst, dass ich als weiße Person mit deutschem Pass vielen Stressoren nicht ausgesetzt bin. Und mir schnürt es die Brust zu, wenn ich meinen Freund:innen zuhöre. Da fällt das Luft holen schwer. Das heute beginnende Wochen-Motto der Fastenaktion lautet übrigens Seufzen. Die Kurzatmigkeit unterbrechen durch einen tiefen Seufzer. Ein Luft holen trotz alledem.
Gegen die Vereinzelung
Ein solches Luft holen trotz alledem war für mich am 8. März der internationale feministische Kampftag. Ein solidarisches Kraftschöpfen – wie es Charlotte Jacobs so treffen bezeichnet. Es war ein tiefes solidarisches Luftholen: gegen die Vereinzelung, im Banden bilden und Bündnisse schmieden, im Ungerechtigkeiten sichtbar machen. Da standen wir nun mitten auf der Demo in Hannover. 3.000 Personen waren angemeldet, 10.000 sind gekommen. Was für ein kraftvolles Bild. In mehreren Blöcken zogen wir los. Am vorderen Ende ein leerer Block für alle, die nicht dabei sein konnten, weil sie 2025 Opfer von Femiziden wurden. Eine Mahnung mitten auf der Demo. Es ist die Frage, wie wir leben wollen einerseits. Es ist aber auch ein Aufbegehren gegen den Tod mit all seinen Ansinnen und Komplizenschaften andererseits.
"Es reicht. Wir kämpfen zusammen." So lautete das diesjährige Motto. Da steckt beides drin. Es reicht! So kann es nun wirklich nicht weitergeben. Es ist die Unterbrechung im Luft holen und Grenzen ziehen. Ein lautes "Stopp!" im Ausatmen.
Es reicht. Das kann aber auch bedeuten: Eigentlich ist genug für alle da. Es reicht für dich und mich. Das ist nun wirklich ein solidarisches Ausatmen. Es erinnert mich daran, dass nicht die Ressourcen fehlen, sondern dass es darum geht, wie wir sie verteilen. Es erinnert mich daran, dass die Frage, wie wir Lohnarbeit und Sorge-Arbeit organisieren, wesentlich verknüpft ist mit dem guten Leben für alle.
Verbunden mit denen, die vor mir kämpften
Luft holen! Das mache ich auch, indem ich mich bewusst mit denen verbinde, die vor mir am 8. März auf die Straße gegangen sind. In diesem Jahr begleiten mich vor allem drei Theologinnen, mit denen ich mich in der Sache verbunden fühle:
Da ist die unanständige, queer-feministische und marxistische Theologin Marcella Althaus-Reid. Von ihr habe ich Langmut gelernt. Althaus-Reid wusste, dass sie die unterdrückenden Systeme ihrer Zeit nicht zum Umsturz bringen wird. Sie hat ihr Lebenswerk darauf fokussiert, den Riss in allem ein Stück zu vertiefen, in der Hoffnung, dass diejenigen, die nach ihr kommen, dort weitermachen werden.
Von der Schweizer Theologin und feministischen Sozialistin Clara Ragaz habe ich gelernt, mein kleines Tempelchen in den großen Tempelbau einzugliedern und die gemeinsamen Menschheitsziele nicht aus dem Blick zu verlieren. Und dabei wusste sie, dass "jede Fessel, die heute fällt, ein Hindernis weniger auf unserm Weg (bedeutet)."
Und von Dorothee Sölle leihe ich mir heute die poetischen und widerständigen Worte gegen den Tod und seine Kompliz:innen, gegen die destruktiven und lebensnegierenden Kräfte, gegen die Beklemmung, die milde Depressionen des Bringt ja eh nichts-Gefühl. Mit Sölle atme ich einmal tief durch und spreche mit:
Gegen den Tod – Dorothee Sölle.
Ich muss sterben.
Aber das ist auch alles, was ich für den Tod tun werde.
Alle anderen Ansinnen –
seine Beamten zu respektieren,
seine Banken als menschenfreundlich,
seine Erfindungen als Fortschritte der Wissenschaft zu feiern,
werde ich ablehnen.
All den anderen Verführungen zur milden Depression,
zur geölten Beziehungslosigkeit,
zum sicheren Wissen, dass er ja sowieso siegt,
will ich widerstehen.
Sterben muss ich.
Aber das ist auch alles, was ich für den Tod tue.
Lachen werde ich gegen ihn.
Geschichten erzählen, wie man ihn überlistet hat
und wie die Frauen ihn aus dem Land trieben.
Singen werde ich und ihm Land abgewinnen mit jedem Ton.
Aber das ist auch alles.