Ich bin angenommen, wie ich bin!

Ich bin angenommen, wie ich bin!
Foto: privat
Finn Wolfrum ist Pfarrer und transident. Im Sommer 2017 hat er das öffentlich gemacht. Seine Kirchengemeinde und seine Landeskirche stehen hinter ihm. Und das ist gut so.

Die Lebensgeschichte von Finn Wolfrum war im Herbst in vielen kirchlichen und nicht kirchlichen Zeitungen und Reportagen zu lesen und zu hören. Denn Wolfrum ist Pfarrer, und er ist transident. Das hat er in diesem Sommer öffentlich gemacht. Ich habe Finn Wolfrum gefragt, was seitdem geschehen ist.

Söderblom: Könnten Sie zu Beginn einige Sätze zu sich selbst sagen?

Wolfrum: Ich bin 1971 in Hof an der Saale geboren worden, aufgewachsen in Naila. Mit der Konfirmation habe ich einen Zugang zum Glauben, zu Gott bekommen, der schließlich in die Entscheidung mündete, Theologie zu studieren, um Pfarrer zu werden. Dietrich Bonhoeffer und die Befreiungstheologie waren wichtige Schwerpunkte in meinem Studium, aber auch die Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage. Mein Vater starb als ich sechs Jahre alt war. Das nahm ich natürlich ins Studium mit.

1991 ging ich nach Erlangen an die FAU. 1997 heiratet ich einen ehemaligen Schulkameraden. Uns verband vor allem die Liebe zur Kunst zum Fotografieren, die leidenschaftliche politische Diskussion. Nach dem ersten theologischen Examen ging es 1998 nach Hummeltal ins Vikariat. 2001 erfolgte der Wechsel nach dem zweiten Examen nach Selb. Die Porzellankrise begleitete mich fast täglich in der seelsorgerlichen Arbeit. 2007 trennten mein Mann und ich uns. Seit 2010 bin ich Pfarrer in Veitshöchheim, seit 2013 leidenschaftlicher Sportschütze. 2015 war ich Schützenkönig. Ich bin im Trainerteam und in der Sportleitung des Vereins aktiv.

Söderblom: Wie würden Sie Ihre Lebenssituation persönlich und in Ihrer Gemeinde aktuell beschreiben?

Wolfrum: Es ist schön, dass langsam wieder Alltag einkehrt. Der befürchtete Sturm blieb aus, viele bringen mir Wertschätzung und Sympathie entgegen. Das hilft sehr, weil ich mich wieder auf die Arbeit konzentrieren kann. Persönlich geht es mir nach wie vor so gut, wie nie in meinem Leben. Dieses Gefühl, bei mir zu sein, richtig zu sein, das leben zu können, was ich seit über 40 Jahren spüre, ist kaum zu beschreiben. Soviel psychische Stabilität bei all den Belastungen, die der Beruf mit sich bringt, ist für mich in der Tiefe neu.

Söderblom: Gab es einen Auslöser oder eine konkrete Situation, ab wann Sie wussten, dass Sie Ihre Lebensgeschichte öffentlich machen wollen? Und wenn ja, warum?

Pfarrer Finn Wolfrum

Wolfrum: Ich kann mich schlecht verstecken, bzw. es kostet unendlich Kraft, das durchzuhalten. Mir war klar, dass das irgendwann kommen muss. In der Gemeinde haben wir mit der Generalsanierung der Christuskirche eine große Aufgabe zu bewältigen, nächstes Jahr sind Kirchenvorstandswahlen. Da wollte ich mit den Menschen offen umgehen. Sie sollen wissen, mit wem sie es zutun haben. Ich wollte nicht mehr in Parallelwelten unterwegs sein.

Als öffentliche Person ist das nochmal schwieriger. Ich lebe von Vertrauen und Authentizität. Das andere war eine Erfahrung im Sommer. Bei einem Workshop in meiner letzten Urlaubswoche konnte ich „Mann sein“, als Finn leben. Das war eine dichte und so wohltuende Erfahrung. Ich habe danach die Rückkehr in das andere Leben fast nicht mehr geschafft.

Die Entscheidung zur ganz großen Öffentlichkeit war dann auch dem Amt und der Funktion geschuldet. Die Aufgabe war, nach dem Kirchenvorstand möglichst viele Menschen, die mit mir zusammen arbeiten, gleichzeitig mit Informationen zu versorgen. Da hat die evangelische Landeskirche mich gut beraten und mir geholfen. Der Weg über die lokale Presse war der sinnvollste. So haben wir den Evangelischen Pressedienst um die Berichterstattung gebeten. Dass das Echo bundesweit nachhalten wird, war zu erwarten.

Söderblom: Welche Erfahrungen haben Sie seit Ihrem Comingout gemacht?

Wolfrum: Im Wesentlichen sehr positive. Viele bestärken mich, erzählen mir, dass sie mich viel gelassener und entspannter erleben. Quer durch alle Generationen hindurch. Sie erleben mich kongruent mit mir selbst. Mich erreichen Briefe und Emails von Betroffenen, die durch meinen Schritt auch in die Öffentlichkeit den Mut finden, sich selbst auf den Weg zu machen. Im Grunde erleben sie etwas sehr Ähnliches wie ich auch, hier auf kreuz&queer und mit anderen Veröffentlichungen.

Söderblom: Sie sind Pfarrer. Wie verbinden Sie ihre Lebensgeschichte mit Ihrer Theologie?

Wolfrum: Puh! Das war ein intensives Ringen. Meine ganze Lebensgeschichte ist immer wieder durchdrungen von Zeiten, in denen ich Perspektiven suchen musste. Halt waren und sind mir immer die Psalmen. Mein Konfirmationsspruch, Psalm 23,4, aber auch der Psalm 31. Ganz tiefe Texte, die von der Brüchigkeit des Lebens erzählen.

Theologisch habe ich Reformation neu durchbuchstabiert. Rechtfertigung heißt, ich bin angenommen, wie ich bin. Durch und durch, bis in die körperliche Verfasstheit hinein. Und die Zuwendung Gottes, seine Liebe, sein Mitgehen, hängt nicht an der äußeren Hülle eines Körpers, der vergänglich ist. Die Zuwendung gilt der Person, die immer mehr ist, als wir beschreiben können.

Spirituell habe ich für mich "Heimat" neu oder endlich beschreiben können. Zuhause bin ich am Altar, in Gott. Da darf ich einfach sein. Wer oder was ist nicht wichtig. Es ist die bedingungslose Annahme, die ich da spüre und immer wieder erlebe. Als ich an meinem Geburtstag in Naila in meiner Tauf- und Konfirmationskirche am Altar saß, war auch da diese Gewissheit der Annahme da. Ausgerechnet im frommen Frankenwald, wo vermutlich viele meinen Weg nicht nachvollziehen können. Gerade deswegen war das ein wichtiger Ort, da nochmal zu sein, und auch da erleben zu können: Es ist richtig.

Söderblom: Werden Ihre persönlichen Veränderungen ihre Gemeinde- und Seelsorgearbeit verändern?

Wolfrum: Erstmal hoffe ich, dass das nicht so ist. Ich glaube aber auch, dass ich noch authentischer leben und arbeiten kann. Das Verständnis für die Vielfalt und Vielschichtigkeit von Lebenserfahrungen jedenfalls kann ich noch bewusster als bisher einbringen.

Söderblom: Was sagen Sie anderen Menschen, die sich in Lebensumständen befinden, in denen sie nicht so leben, wie sie eigentlich sein möchten oder die nicht so leben, wie sie sich fühlen?

Wolfrum:

"Folge deinem Herzen“ und vertraue, dass dein Herz für dich schlägt!"

Söderblom: Was wünschen Sie sich von der Evangelischen Kirche an Unterstützung für transidente Menschen?

Wolfrum: Dass sie offensiv dazu steht, dass das Leben vielfältig ist. Transidente Menschen begehen keine Sünde, wenn sie ihren Körper angleichen. Dass sie Lobbyarbeit im Bundestag macht. Sie sollte dazu führen, dass die grundgesetzwidrige und menschenunwürdige Praxis auf dem Weg zur Vornamens- und Personenstandsänderung endlich abgeschafft wird. Wir sollten in Deutschland ein modernes Transsexuellenrecht bekommen, wie es viele andere Länder schon längst haben.

 

Zum Weiterlesen:

Kommen Transsexuelle in der Bibel vor? (2016).

Qu(e)er gelesen: Josef und seine Brüder (2016).

Segen. Ritus. Kausalie - Trans*Menschen vor Gott. Eine Arbeitshilfe (2015).

weitere Blogs

In den USA sind manche Schnellrestaurants durchaus religiös.
... darüber dass Schönheit nicht aufhört
In Kleve wurden gestohlene sakrale Gegenstände wiedergefunden – durch einen Zufall