Ein queerer Ritt durch die Karwoche

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Gerd Altmann/Pixabay / Canva (M)
Ein queer-theologischer Blick auf die Karwoche von der Blogger*in Sonja Thomaier.
Karwoche queer gedacht
Ein queerer Ritt durch die Karwoche
Es ist die Woche "davor". Vor dem, was sich zwischen Karfreitag und Ostern entfalten wird. Hier steht die Einladung, einen neuen Blick auf die Karwoche zu werfen. Es gibt einiges zu erspüren und zu entdecken, auch jenseits altbekannter Pfade.

Karwoche. 
Das jubilierende "Hosianna!" am Sonntag.
Der anklagende Hinrichtungsruf "Kreuzigt ihn!" am Freitag.

Davor. 
Übergang.
Randperspektive.

Von den Rändern her schauen auch queere Theologien kritisch auf die eigene Tradition. Verlassen eingefahrene Wege. Schaffen gedankliche Trampelpfade. Entblößen Mächtiges. Wie zurückgelassene Gewänder auf kaltem Stein. Ein Hauch von Ostern. Vielleicht.

Am Anfang steht (m)eine Einladung –
Ein gedanklicher Ritt durch diese Woche. 
Auf dem widerborstigen Eseljungen, statt dem eingerittenen Ross. 

 

Sonntag: Protest mit Palmzweigen

Bisher dachte ich, die Tragik und Dramatik der Woche zwischen Palmsonntag und Karfreitag liegt in der Masse, die sich wie ein Fähnchen im Wind dreht. Da stehen sie an Jerusalems Toren und rufen "Hosianna!". Ein Jubelruf, der Jesus als den Besonderen empfängt, der er auf seinem Esel nicht sein will. Und dort wiederum stehen dieselben Leute eine Woche später an den Toren von Pontius Pilatus Palast und schreien vernichtend "Kreuzigt ihn!". Darin vibriert die tiefe Anfälligkeit des Menschlichen und der Massen. Wie zwei im Garten, die alles hatten und doch die Finger nicht von der einen Frucht lassen konnten. Palmsonntag habe ich in dieser Prägung immer ein wenig misstrauisch beäugt. 

Von queeren Theolog*innen, wie Thomas Bohache oder Roberto Che Espinoza, durfte ich lernen, den ersten Palmsonntag als Aufstand zu verstehen. Palmzweige emporgereckt wie Protestschilder. Wider die Armut und Hoffnungslosigkeit. Gegen die unterdrückende Struktur des römischen Imperiums. Gerufen von den Armen zu dem Armen, der die Hoffnung entfacht hat. Ich durfte lernen, "Hosianna!" als Hilferuf zu verstehen. In seiner wörtlichen Übersetzung: "Rette uns!". Ambivalenz gibt es auch in dieser Geschichte. Jesus wird nicht nur von der Menge in Empfang genommen, sondern auch von der Verdächtigung und der Überwachung. Mit dieser Randperspektive verstehe ich Palmsonntag als call to action, als Aufruf zur Solidarität mit allen, die nach Gerechtigkeit dürsten. Mutig und trotzig. 

 

Montag oder Dienstag oder Mittwoch: Tische Umwerfen

Montag. Dienstag. Mittwoch. Es sind stille Tage. Sie fließen dahin. So kenne ich das aus meiner Tradition. Vielleicht bereitet man sich vor. Auf das Große, das Einschneidende, das Kommende. Der Blick verharrt nicht, sondern wandert weiter. 

Von queeren Theolog*innen, wie Robert Shore-Goss, habe ich gelernt, auch die stillen Tage mit den Geschichten dazwischen wahrzunehmen. Das Tische-Umwerfen im Tempel zum Beispiel. Prophetische Intervention mitten im Herzen des religiösen Zentrums. Der umgeworfene Tisch als Umkehrruf an die Jerusalemer Herren samt deren Verflechtungen mit der römischen Imperialmacht. Mit den queeren Theolog*innen lerne ich, diese Tempelaktion als Protest zu lesen. Palmsonntag fortgesetzt. Ein Protest gegen die Ökonomie religiöser Ausbeutung. Um antijudaistischen Auslegungen zu wehren, übertragen queere Theolog*innen, wie Luis Menéndez-Antuña, diese Aktion auf die religiösen Ausbeutungsstrukturen im eigenen Haus: wie der rechts offene konservativ-christliche Multi-Milliarden-Dollar schwere "Industrielle Bibel Komplex". So nennt Menéndez-Antuña den modernen Tempel, in dem widerständig nicht nur ein paar Tische umgeworfen werden müssen. Als Einwurf gegen toxische Theologien, die sich mit weißem Nationalismus vermählt haben.   

 

Donnerstag: Kin-dom statt Kingdom

Gründonnerstag. Ein mir vertrauter Ritus. Als Mahlgemeinschaft Jesu. Als Fachdebatte irgendwo zwischen Pessachmahl und hellenistischen Symposien. Als Ursprung des Abendmahls. Als Gott mit uns am Tisch der Gnade. Als gebrochenes Brot, das auf den gebrochenen und gekreuzigten Leib zeigt. Als Wein, der auf das vergossene Blut verweist. Als Trennungsmoment von Wein und Brot, der die bevorstehende Hinrichtung – die Trennung von Leib und Lebenskraft – symbolisiert. Zur Vergebung der Sünde(n). Schmecket und sehet. 

Von queeren Theolog*innen, wie Robert Shore-Goss, habe ich gelernt, Gründonnerstag als Mahl der Mähler zu verstehen. Als Ausdruck der Tischgemeinschaft eines Kin-dom. Kin-dom. Das ist eines dieser pfiffigen Wortspiele. Anstelle der Verkündigung von Gottes König-reich (engl. Kingdom) tritt die Verkündigung von Gottes Beziehungs-Reich (engl. Kin-dom). Die vertikale Gemeinschaft wird zu einer horizontalen unter Gleichen. Oder wie es der politische Theologe Jörg Rieger formulierte, „eine Kontrastgesellschaft, in der der Gott Jesus nicht von oben herab regiert (...), sondern an der Basis wirkt, bei der Formation alternativer Gemeinschaften, deren Lebensweise nicht darauf abzielt, andere zu überwältigen, sondern sie in geteilte Macht-Beziehung (shared relations of power) einzuladen.“ Dein Beziehungs-Reich komme. Schmecket und sehet. 

 

Hier kommen wir zum Stehen, mit unserem Jungtier. 
Davor. 
Und blicken hinüber – 

Karfreitag. 
Karsamstag.
Ostersonntag. 

Bis hierhin hat uns unser Lasttier getragen.  
Ab hier folgen wir den Frauen, die Jesus folgten.
Zu Fuß que(e)rfeldein. 

Maria, Salome, Maria aus Magdala.
Unter’s Kreuz. 
Durch die ohrenbetäubende Stille.
Bis zum Grab. 

Aber noch sind wir –
Davor. 
Übergang.
Randperspektive. 

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