So geht es in anderen Kirchen nur an Heiligabend zu: Dicht gedrängt sitzen die Gottesdienstbesucher in den Bänken, es müssen zusätzliche Stühle in den Gang gestellt werden. Trotzdem bleiben für einige ganz hinten im Kirchenschiff lediglich Stehplätze. Das Besondere: Fast alle der rund 100 Christen, die an diesem Frühlingssonntag in das Gotteshaus kommen, sind noch keine 30 Jahre alt. Willkommen in der "Jungen Kirche" in dem kleinen Dorf Durrweiler im Nordschwarzwald unweit von Freudenstadt.
Seit rund zwei Jahren organisiert sich diese ungewöhnliche Gemeindeinitiative unter dem Dach der Evangelischen Landeskirche in Württemberg selbst. Zum Gottesdienst gehören poppig-melodische Anbetungslieder, die statt Orgel eine Band begleitet. Das Gesangbuch wird durch eine Leinwand mit den - häufig englischsprachigen - Liedtexten ersetzt, die Predigt übernehmen in bunter Abwechslung Frauen und Männer aus der Region.
Der einzige Hauptamtliche ist Alfred Heß, dessen Stelle der Kirchenbezirk Freudenstadt durch Spenden finanziert. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich neben Job, Studium, Familie oder Schule.
Für Tobi Wörner ist die "Junge Kirche" in Pfalzgrafenweiler ein Vorzeigeprojekt. Wörner kümmert sich im Auftrag des Evangelischen Jugendwerks Württemberg (EJW) um Gemeindeinitiativen mit jungen Erwachsenen. Rund zehn vergleichbare Projekte gebe es derzeit im Ländle, sagt er. Zehn weitere seien in Anbahnung.
Tobi Wörner, der auch der württembergischen Landessynode angehört, versteht sich als "Scout für Kirchenpioniere". Was muss so ein Kirchenpionier mitbringen? "Wut", sagt er und lacht. Er meint damit eine Unzufriedenheit, die sich aus einer Sehnsucht nach einer ansprechenderen Kirche speist. Wörner hilft den jungen Leuten dabei, diese Wut in positive Energie umzuwandeln, damit sie ihren Traum von Kirche in die Wirklichkeit umsetzen.
Die Jugend als Zukunft der Kirche
In Durrweiler beginnt dieser Traum damit, dass sich der Kirchennachwuchs mit einer Tasse Kaffee oder einem Glas Saftschorle in die Kirchenbank setzt, bevor der Gottesdienst losgeht. Das Miteinander ist sehr entspannt. Man sieht den jungen Besuchern an, wie sehr sie sich über das Wiedersehen im Gotteshaus freuen. Gab es diesen Gottesdienst anfangs nur einmal im Monat, schwenkte das Team noch im Gründungsjahr auf einen zweiwöchentlichen Turnus um.
Heute zählen sich rund 30 Leute zu diesem Team. Es müssen nicht alle jedes Mal mitmachen, aber zehn Aktive braucht es mindestens für einen Gottesdienst - für Band und Technik, Kaffeebar und Moderation und ein paar weitere Aufgaben. Luisa vom Team erzählt, dass es einen guten Rückhalt in der Kirchengemeinde für die jungen Leute gebe. Die "Junge Kirche" dürfe ihre Gottesdiensttermine zuerst anmelden - und die Gemeinde baue ihre weiteren Angebote um den Kalender der Projektkirche herum.
Ideen nicht tot reden
Inzwischen existiert eine überkonfessionelle Bewegung in Baden-Württemberg, die Initiativen wie die in Pfalzgrafenweiler unterstützt. Unter dem Namen "Gründergeist" haben sich Frauen und Männer aus den Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart, CVJM Baden, EJW und württembergische Landeskirche sowie die Missionarischen Dienste der badischen evangelischen Landeskirche zusammengetan. Anfragen aus Bayern und der Pfalz sowie aus der Evangelisch-methodistischen Kirche lägen ebenfalls vor, berichtet Tobi Wörner.
Dass es auch kritische Fragen zu solchen Initiativen gibt, ist Wörner gewohnt. Allergisch reagiert er inzwischen auf Zweifel an der Nachhaltigkeit der Projekte. "Es wird gefragt, wo so eine junge Gemeinde in zehn Jahren steht. Ich frage zurück: Wo steht denn die normale Kirchengemeinde in zehn Jahren?" Es sei ein Innovationskiller, wenn von Anfang an alle Zukunftsfragen beantwortet werden müssten.
Selbst wenn ein Projekt wie die "Junge Kirche" nur ein paar Jahre dauern sollte, wäre es das wert gewesen, findet der EJW-Referent. Man könne solche Gründungen nicht gleich "für alle Ewigkeit" denken. Entsetzt ist Wörner, dass die Projektstellen den landeskirchlichen Sparbeschlüssen zum Opfer fallen und Ende 2026 auslaufen sollen. Für die Zukunftsfähigkeit der Kirche sei die Förderung von Menschen mit Gründergeist ein entscheidender Faktor - zumal junge Erwachsene laut einer Studie die Gruppe darstellten, die am ehesten aus der Kirche austritt.
Dass die Gemeinde in Durrweiler jung ist, lässt sich übrigens auch an ihrem Medienverhalten ablesen. Eine Homepage der "Jungen Kirche" sucht man vergeblich - die Kommunikation findet über Instagram statt.