So sieht die Zukunft der Seelsorge aus

Pfarrerin Nora Rämer Buchsein, Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie , Achim Gäckle, Geschäftsführer des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes Württemberg e.V.
KOM-IN-Netzwerk e.V./Detlef Schneider (Mitte)
Pfarrerin Nora Rämer Buchsein, Ralph Kunz (Professor für Praktische Theologie) und Achim Gäckle (Geschäftsführer des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes Württemberg e.V.).
"Caring Community"
So sieht die Zukunft der Seelsorge aus
Mit der Zukunft der Seelsorge haben sich die Teilnehmenden der Blinden- und Sehbehindertenseelsorge bei ihrer Fachtagung beschäftigt. Wie Seelsorge inklusiver und damit für alle zugänglich werden kann, war ebenfalls Thema.

Die Kirche der Zukunft ist eine Gemeinschaft, die sich umeinander kümmert. Das sagte der Züricher Professor für Praktische Theologie Ralph Kunz im Rahmen der Fachtagung "Auf der Suche nach der zukünftigen Stadt - Wege in die Zukunft der Blinden- und Sehbehindertenseelsorge".

Der Dachverband der evangelischen Blinden- und evangelischen Sehbehindertenseelsorge (DeBeSS) hat sie am ersten Märzwochenende in Hofgeismar als Fortbildung für Haupt- und Ehrenamtliche aus verschiedenen Landeskirchen ausgerichtet. 

"Seelsorge passiert da, wo die Mutter mit der Tochter spricht und ihr zuhört, wo der Mann seine demenzkranke Frau pflegt", erläutert Kunz in seinem Vortrag "Zukunft der Kirche und der Seelsorge" vor den rund 35 Teilnehmenden. Als "familiale Seelsorge" bezeichnet er diesen Ansatz, wobei familial nicht zwangsläufig blutsverwandt meint. Vielmehr gehe es um eine Gemeinschaft, die man sich aussucht. Mit Blick darauf beschreibt Kunz auch die Kirche als eine solche Gemeinschaft, als "Caring Community". 

Während die traditionelle Seelsorge, wie etwa Pfarrpersonen sie ausüben, aufgrund zurückgehender finanzieller und personeller Mittel in den Kirchen geschwächt werde, werde die familiale Seelsorge zukünftig stärker in den Vordergrund treten. Dabei sei jedoch klar, dass dies ohne die Hauptamtlichen nicht gehe. Auch bei knapper werdenden Mitteln brauchen ehrenamtliche Seelsorgende ein pastorales Gegenüber, etwa für die Ausbildung.  

Seelsorge für alle: Kirche muss inklusiver werden

"Die Caring Community funktioniert bei uns hervorragend", sagt Achim Gäckle, Geschäftsführer vom Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienst Württemberg e.V. Zu 1.100 blinden und sehbehinderten Menschen habe der Verein Kontakt. Eine wichtige Aufgabe sei die Vernetzung von Betroffenen. Sieben Freizeiten pro Jahr bieten Gäckle und sein Team an und veranstalten zweiwöchentlich "Bibel Brunches" und weitere Bezirkstreffen. "Dort passiert schon viel Seelsorge untereinander", sagt Gäckle. Dennoch sei auch die Vernetzung mit Kirchengemeinden vor Ort wichtig sowie diese in die Arbeit mit blinden und sehbehinderten Menschen mit einzubeziehen. 

"In den Gemeinden hätten wir gerne mehr Pfarrpersonen im Boot. Aber viele sind überlastet und können sich nicht um alles kümmern", bedauert er. Ein Aspekt, den viele der Teilnehmenden äußern: Kirchengemeinden seien häufig nicht inklusiv genug und für Menschen mit einer Behinderung nicht einladend. So seien Gemeindehäuser häufig nicht barrierefrei erreichbar und Gottesdienste nicht auf die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Menschen zugeschnitten. Es fehle oft an Assistenzpersonal und der liturgische Ablauf des Gottesdienstes werde häufig nicht erklärt, etwa, wann die Gemeinde sich erheben soll.

"Wir müssen die Menschen in den Gemeinden stärker bezüglich der Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Menschen sensibilisieren", sagt Nora Rämer vom Zentrum Dreieinigkeit in Berlin. Rämer ist eine von ganz wenigen Pfarrpersonen, die selbst blind ist. Sie bemängelt, dass es innerhalb der Gemeinden kaum Menschen mit Behinderung gebe, etwa im Pfarrdienst. Auch darauf sei eine mangelnde Sensibilisierung zurückzuführen.

Dunkelgottesdienste und Maulwurftage 

Um Gemeindemitglieder im Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen vertrauter zu machen, hat Rämer in ihrer Gemeinde vor zwei Jahren die so genannten "Maulwurftage" ins Leben gerufen. "Wir laden Kinder aus Kitas und Grundschulen dazu ein. Sie bekommen Schlafmasken aufgesetzt und Blindenstöcke in die Hand", berichtet sie.

Die Fachtagung der Blinden- und Sehbehindertenseelsorge.

In einer Art Polonaise werden die Kinder durch das Gemeindezentrum geführt, spielen Spiele mit einem Ball, der mit kleinen Glöckchen versehen ist oder lassen sich durch Geräusche von anderen Kindern durch einen Parcours lotsen. "Klar haben manche auch ein bisschen Angst. Aber die meisten Kinder sind begeistert davon was man sieht, ohne zu sehen", erzählt Rämer. Etwa dann, wenn die Kinder Obst und Gemüse ertasten und kosten und sich dann freuen, wenn sie eine Banane richtig erkannt haben.

Für Erwachsene empfiehlt die Pfarrerin Dunkelgottesdienste, die ebenfalls unter einer Maske stattfinden und die sie in ihrer Gemeinde gelegentlich hält. "Dadurch bekommt man ein Gespür dafür, was blinde und sehbehinderte Menschen brauchen", sagt sie. 

Irgendwann ist Inklusion ganz selbstverständlich

"Mein Vikarskurs und meine Gemeinde sind schon sensibilisiert", erzählt Brigitte Buchsein. Über viele Jahre hinweg war Buchsein, die ebenfalls blind ist, ehrenamtlich als Kirchenvorsteherin und Prädikantin aktiv. Neben ihrem Beruf als Softwareentwicklerin studierte sie Theologie und absolviert derzeit ihr Vikariat in der hessen-nassauischen Landeskirche. Die Personen in ihrem Umfeld wissen, in welchen Punkten sie Unterstützung braucht – und was sie allein kann. "Hilfe bekomme ich zum Beispiel ich beim Austeilen des Abendmahls im Gottesdienst oder beim Bedienen der Kaffeemaschine, wenn diese mit einem Touchscreen ausgestattet ist", sagt sie. 

Dabei nimmt Buchsein in ihrem Umfeld eine Leichtigkeit wahr, mit der die Menschen ihr begegnen. "In meinen Seminaren beschreiben mir meine Dozierenden ganz selbstverständlich, was auf einem Bild zu sehen ist, wenn eines gezeigt wird", erzählt sie. Wichtig sei eine offene Haltung und sich einander mit den jeweiligen Bedürfnissen wahrzunehmen. 

Auch eine Vision formulieren die Teilnehmenden zum Abschluss: Kirchengemeinden sollen inklusiver werden, etwa indem blinde und sehbehinderte Menschen dort zu einem Platz geführt und auch zum Abendmahl mit nach vorne genommen werden. Im Idealfall, darin sind die Teilnehmenden sich einig, soll Inklusion irgendwann so selbstverständlich sein, dass darüber gar nicht mehr gesprochen werden muss.

Das Kom-In-Netzwerk e.V., das unter anderem Zeitungen und Zeitschriften für blinde und sehbehinderte Menschen barrierefrei zugänglich macht und zur Verfügung stellt, hat die DeBeSS-Fachtagung auf Mastodon begleitet.