Der Herbst ist eine wunderschöne, farbenprächtige Jahreszeit. Das satte, reife Grün des Sommers geht dahin. Der Abschied wird vergoldet durch das Blattwerk in seinen warmen Farben, durch die Milde des Lichtes an Spätsommerabenden. Eine fast trotzige Selbstbehauptung, bevor die dunkleren Tage Raum greifen.
Der Herbst ist für mich in einem spirituellen Sinn eine Zeit der Einkehr, des Innehaltens. Er zwingt mich (und es ist durchaus nicht immer angenehm) zur Frage, was geerntet wird, und er erfüllt mich mit Dankbarkeit für das, was geerntet wurde. Wenn auch nicht durch mich, so durch die Hände und die Arbeit anderer. Dankbarkeit für die unermessliche Fülle, die Wunder und die Vielfalt der Schöpfung, die sich jetzt auf geradezu verschwenderische Weise noch einmal darbietet, bevor die dunkleren Tage kommen.
Vor einem Jahr hat Wolfgang Schürger in diesem Blog ausgelotet, welche Bedeutung ein Fest wie der anstehende Erntedank für Lesben und Schwule haben könnte. Letztlich, so habe ich ihn gelesen, ging es darum, wofür man dankbar sein kann und inwieweit Homo- und Transsexuelle sich in der derzeit üblichen Form von Erntedankgottesdiensten als Beschwörung von privater Familienheimeligkeit wiederfinden können.
Nun, in diesem Jahr markiert der 1. Oktober in gesellschaftlicher Hinsicht die Möglichkeit für schwule wie lesbische Paare zu heiraten. Das Modell der Lebenspartnerschaft weicht, nun kann, wer mag, eine Ehe mit seinem Partner, seiner Partnerin schließen. Es war ein langer Weg, teils mit wunderbarer Unterstützung, teils mit heftigem und anhaltendem Widerstand von Seiten der Kirchen. Mit der gesetzlichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kommt ein jahrelanges Ringen, Werben, Argumentieren, Drängen auf Gleichstellung zu einem Ende.
Doch mit der Bundestagswahl und der neuen Zusammensetzung unseres Parlamentes droht bereits neues gleichwohl altbekanntes Ungemach. EKD-Ratspräsident Bedford-Strohm warnte mit Blick auf die AfD, ausgrenzende und hasserfüllte Stimmen dürften nicht das Leben in unserem Land vergiften. Aus Sicht von Homo-, Bi- und Transsexuellen kann man dem nur zustimmen, denn in einem solchen Klima können und wollen auch wir nicht leben. Es gilt sich zu wappnen gegen den Versuch, Neid zu schüren, indem behauptet wird, Schwule und Lesben würden bevorzugt, bekämen „Sonderrechte“, die anderen was auch immer wegnehmen. Es gilt sich zu wappnen gegen den Versuch, Parteien wie die AfD als "Schutzmacht" für Homosexuelle gegen Islamisierung darzustellen. Es gilt sich zu wappnen gegen eine Logik, die die Teilhabe von Homosexuellen wie auch anderer Gruppen an der Gesellschaft als Ursache für einen angeblichen Untergang anzuprangern sucht.
Der Herbst, ich muss es mir gerade selbst nochmals deutlich sagen, ist eine wunderschöne Jahreszeit, eine Zeit, die zur spirituellen Einkehr einlädt, zur Dankbarkeit, zur Bilanz.
À propos: Sicher wird man das auch auf der Herbsttagung der HuK (Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche) vom 20. bis 22. Oktober in Würzburg tun. Diese steht nämlich noch ganz im Zeichen des 40-jährigen Jubiläums. Auf dem Programm stehen z.B. ein Festvortrag, ein Erzählcafé sowie Andachten und ein Gottesdienst am Sonntag.
Es ist sehr zu hoffen, dass die Feier der Arbeit und des Erreichten begleitet wird von einer Einkehr, die den Blick auf das Anstehende, die nähere und fernere Zukunft richtet. Man wünscht sich von der HuK, dass sie, wenn sich ab und an politisch die Tage verdüstern, deutliche/deutlichere Zeichen setzt. Netzwerken ist die eine Sache, sich auch deutlich in der Community insgesamt zu positionieren, die andere.
In der Hektik des Alltags, den Umbrüchen in Gesellschaft und Politik ist es für mich nicht immer einfach, das Spirituelle einer Jahreszeit zu spüren. Auch das "schwule Leben" mit seinen eigenen Rhythmen und Feiern ist, zumal wenn man in einer großen Stadt mit der entprechenden Infrastruktur lebt, nicht unbedingt vom Wechsel der Jahreszeiten geprägt, sieht man mal davon ab, dass keiner CSD im November bei Regenwetter feiern möchte. Ganz sicher aber kenne nicht nur ich die "Sehnsucht nach spirituellem Erleben, das über das, was die gay community in aller Regel zu bieten hat, hinausweist".*
Der Herbst, das ist eine Zeit der Farbenpracht, der bunten Vielfalt, die noch einmal aufleuchtet, bevor sie sich zur Erneuerung und zur Wiederkehr zurückzieht. Es mag für den Einzelnen auch die Zeit sein, über das eigene Leuchten, die eigene Vergänglichkeit, über Wechsel und Veränderung nachzudenken. Sich nicht zu schämen für Einsamkeit. Sich nicht schämen für körperliche Sinnlichkeit und die Lust, sie mit anderen zu teilen. Wahrzunehmen, wie die eigene Art zu leben, zu lieben eine ganz eigene und schöne Qualität besitzt, mag sie auch nicht immer unmittelbar im Ablauf des Feiertagskalenders sichtbar sein. Genießen, was und wen man hat, im Stillen, fern und inmitten des Getümmels der Großstadt. Ein Innehalten spüren in einer Welt, die uns doch immer nur unentwegt weiterzudrängen scheint.
Info: Nicht nur die HuK hält vom 20.-22. Oktober ihre Herbsttagung ab (mehr Infos über die HuK-Internetseite erfragen). Die Jahrestagung der AG Schwule Theologie findet vom 13.-15. Oktober im Waldschlösschen bei Göttingen statt (weitere Informationen hier).
*zitiert aus dem Vorwort von "Schwule Spiritualität, Sexualität und Sinnlichkeit", hg. v. Stefan Mielchen u. Klaus Stehling; MännerschwarmSkript, Hamburg 2001.