Coming Out - alles ganz easy?

Coming Out - alles ganz easy?
Foto: Wolfgang Dirscherl, pixelio.de
Wolfgang Schürger fand seinen ersten festen Freund war vor mehr als 25 Jahren. Ist ein Coming Out seitdem "ganz easy" geworden?

Ich hatte meinen ersten festen Freund mit 24 Jahren - das war deutlich vor der Jahrtausendwende, mitten in den hysterischen Zeiten der Aids-Pandemie. Es gab noch keinen offen schwulen Außenminister, noch keine offen lesbische Spitzensportlerin. Aber viele alte und neue Vorurteile gegen Homosexuelle, die auch von den meisten Kirchen als mit Sünde beladen angesehen wurden. Der erste Freund war auch der Anlass für den Coming Out gegenüber meinen Eltern - nur, wenn da eine konkrete Partnerschaft ist, würden sie nachvollziehen können, was das für mich (und sie) bedeutet.


Heute sind wir als LGBTIQs sichtbar, präsent in den Medien und im öffentlichen Leben. Ein Coming Out müsste da doch ganz easy sein, oder?


Vor einer Arbeitstagung nimmt mich ein Kollege, mit dem ich gut befreundet bin, zur Seite: „Ich muss dir noch von unserer Weihnachtsüberraschung erzählen...“ - Ich ahne fast schon, was kommt. Seine Tochter hat sich kurz vor Weihnachten als lesbisch geoutet, weil sie an ihrem Studienort die erste feste Freundin gefunden hat. Ihr Alter? 24 Jahre! „Wir haben sie im Herbst besucht, um ihr noch einmal bei der Wohnungseinrichtung zu helfen“, erzählt mein Kollege, „da war sie anders, lockerer als sonst, obwohl sie gerade Prüfungsstress hatte. Ich habe sie noch aufgezogen: ‘Na, wer ist es, der dich so verändert hat?’ Da kam keine Reaktion.“ Ob der Tochter nicht klar war, dass die Eltern mit Homosexualität keine Probleme hätten, frage ich verwundert, da ich beide wirklich gut kenne. Doch, doch, meint mein Freund, aber die Tochter sei sich selber noch nicht so sicher gewesen, was da gerade mit ihr passiert. Dass das mehr ist als eine gute Frauenfreundschaft, hätte sie im Herbst erst allmählich realisiert. „Aha“, denke ich, „auch heute ist Coming Out also noch ein langwieriger Prozess...“

Die beiden Frauen haben sich während des gemeinsamen Studiums kennen gelernt - und werden dadurch gleich noch vor weitere Coming Out-Probleme gestellt. Die andere Frau ist nämlich an dem Studienort groß geworden und wohnt während des Studiums weiter bei ihren Eltern. Eine konservativ geprägte Familie von Naturwissenschaftlern - über Emotionen spricht man nicht. „Die Freundin ist sich sicher“, erzählt mein Freund, „dass die Eltern mit einem Coming Out nicht zurecht kommen, sie hat Angst, dass sie dann sogar von zu Hause raus fliegt. Und wenn sie sagt, sie möchte ausziehen und mit einer Freundin zusammen ziehen, dann kommen womöglich Rückfragen. Und vermutlich würden die Eltern auch keine Wohnung in derselben Stadt finanzieren.“ Also: Versteckspiel vor einer der beiden Familien, Treffen nur tagsüber und vielleicht ab und zu mal eine Übernachtung... Vieles kommt mir erschreckend bekannt vor, obwohl zwischen meiner ersten Beziehung und diesem frisch verliebten Paar doch mehr als 25 Jahre liegen...

Aber halt, vermutlich hat sich seitdem doch einiges verändert. „Wir überlegen“, sagt mein Kollege, „wie wir die zwei in dieser Situation unterstützen können. Mit den anderen Eltern reden - dafür ist es vermutlich noch zu früh. Wir haben den Eindruck, dass wir den beiden vor allem einen sicheren Rückzugsraum bieten sollten. Wenn sie mal raus kommen wollen, für sich sein. Unsere Tochter hat immer noch einen Schlüssel für unser Haus. Wir haben ihr deutlich gemacht, dass sie als Paar immer willkommen sind - auch, wenn wir selber nicht da sein sollten.“ Das empfinde ich anders als damals, so vorbehaltslose Unterstützung von Anfang an haben Ende des letzten Jahrhunderts wohl die wenigsten Queer-Paare durch die Herkunftsfamilie erfahren...

Gut, dass es diese Unterstützung heute gibt - auch und gerade im evangelischen Pfarrhaus! Doch das Beispiel der beiden Frauen zeigt mir, dass auch wir als Queer Community nach wie vor sorgsam darauf schauen müssen, vor welchen Herausforderungen junge Queers heute in ihrem Coming Out stehen und welche Unterstützung sie brauchen. Selbstverständlich und „ganz easy“ ist ein Coming Out nämlich in vielen Teilen unserer Gesellschaft auch heute noch nicht!

weitere Blogs

Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.