Ende eines Buchabenteuers

Wertvolles Buch zurückgegeben
Ende eines Buchabenteuers
Nach 30 Jahren brachte ein damals jugendlicher Bücherdieb reuevoll seine Beute zurück

Schon vor Weihnachten ereignete sich diese kleine, aber rührende Weihnachtswundergeschichte, die irgendwie seitdem auf dem Stapel unbearbeiteter netter Meldungen liegt, es bisher aber nicht in diesen Blog geschafft hatte:

Etwa 35 Jahre ist es her, da wurde der Dom zu Greifswald umfangreich saniert. Eines der letzten großen Bauprojekte in der damaligen „DDR“. Erst bei diesen Bauarbeiten hatte man überhaupt entdeckt, dass hinter Mauern verborgen eine ganze Bibliothek wertvoller, jahrhundertealter Bücher mit dem alten, überlieferten Wissen der Mönche und vielem mehr lagerte. Sie waren während der Reformation aus diversen Klöstern gerettet und an verschiedenen Orten untergebracht und letzten Endes dann offenbar hier in der „Bibliothek des Geistlichen Ministeriums“ eingemauert worden – in der Hoffnung, dass man sie in besseren Zeiten wiederfinden würde. Was sich ja auch als begründete Hoffnung erwies. An sich schon eine abenteuerliche Geschichte. Eines der Bücher jedoch sollte im hohen Alter von über 400 Jahren noch ein weiteres, ganz eigenes Abenteuer erfahren.

Stellen Sie sich also vor: Der Dom als Baustelle. Viele Provisorien, Holzstreben, vermutlich ein Gerüst. Im Dunkeln unbewacht. Ein wahres Paradies für abenteuerlustige Kinder! Gebäude, die Geschichte atmen, seltsame Gegenstände, und da, was ist das? Wahnsinn: Eine unverschlossene Tür! Was dahinter wohl sein mag? Knarrend öffnet sich die provisorische Bautür. Und dahinter: Bücher über Bücher, eines dicker und älter als das andere! Was wohl darin stehen mag? Oh, war da ein Geräusch? Keine Zeit zum Lesen! Das kleine dicke da, das nehmen wir mit, können wir zu Hause lesen und dann zurückbringen. Los jetzt, raus hier, bevor sie uns noch erwischen!

Ungefähr so stelle ich mir diese Aktion vor. Spannend, ein bisschen gruselig, und auf einmal hast du ein Buch in der Hand und weißt gar nicht so recht, was du jetzt damit anfangen sollst. Schlägst es zu Hause auf und stellst zu allem Überfluss fest: Es ist auf Latein! Leider kein Abenteuerbuch, kein Karl May, auch kein Asterix, erst recht keiner der damals populären DDR-Kinderbuchklassiker.

Nun lag da also ein offensichtlich ziemlich altes, mutmaßlich wertvolles lateinisches Buch bei einem Jungen zu Hause herum, sicher sorgfältig vor den Eltern versteckt, während der renovierte Dom schließlich mit großem Trara, Live-Fernsehen und Erich Honecker wieder eingeweiht wurde und wenige Monate später die Mauer fiel und sowieso alles anders wurde.

Kein Wunder, dass der Bücherliebhaberdieb nie den Mut aufbrachte, seine Beute zurückzubringen. Und es waren sicher auch für ihn turbulente Zeiten, in denen sich sowieso vieles änderte. Doch das schlechte Gewissen, das blieb und nagte an ihm. Jetzt, über 30 Jahre später, fasste er sich endlich ein Herz und brachte es zurück.

Große Freude bei Dompastor Tilmann Beyrich: Das Buch mit Wissen mittelalterlicher Mönche aus der Region sei einzigartig. Er zeigt durchaus Verständnis für das Abenteuer der „Jungs“ von damals. Hauptsache, das Buch ist wieder da. Und er äußert die Hoffnung, dass es vielleicht für ein weiteres vermisstes Buch ... ein Osterwunder geben könnte?

Also, falls Sie auch noch so einen uralten lateinischen oder anderssprachigen Schinken zu Hause liegen haben sollten, der nicht ganz freiwillig ihre Gesellschaft genießt und dabei die ganze Zeit Ihr Gewissen belastet: Fassen Sie sich ein Herz! Bringen Sie die Abenteuerreise des Buches zu einem guten Ende und feiern Sie froh und erleichtert Ostern.

Für spannende Bücher empfehle ich dann lieber die Beratung Ihrer örtlichen Buchhandlung. Die haben sicherlich auch was auf Deutsch für Sie. Oder Englisch. Oder welche Sprache Sie auch immer bevorzugen. Aber egal was ... lesen Sie doch einfach mal wieder was Schönes. Tut gut.

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