Spenden für Steine?

Spenden für Steine?
Sollte man statt für den Wiederaufbau von Notre Dame nicht lieber für humanitäre Zwecke spenden?

Die Bilder gingen live um die Welt. Und überall waren Menschen zutiefst erschüttert: Eines der bedeutendsten historischen Bauwerke der Welt, Notre-Dame in Paris, stand in Flammen. Menschen standen in sicherer Entfernung, beteten und sangen, während Hunderte von Feuerwehrleuten versuchten, zu retten, was noch zu retten war. Und eine unglaubliche Spendenbereitschaft setzte ein: Innerhalb kürzester Zeit kam fast eine Milliarde Euro für den Wiederaufbau dieser Kirche zusammen, darunter Einzelspenden von Milliardärsfamilien von zum Teil mehreren hundert Millionen Euro.
Ja, da fragen sich viele schon: Warum kommen für so ein Bauwerk auf die Schnelle derartige Summen zusammen, während jedes soziale Hilfswerk um jeden einzelnen Spenden-Euro betteln muss und anderswo auf der Welt Menschen verhungern oder keinen Zugang zu zu frischem Trinkwasser haben?

Vielleicht ist es ganz gut, das mal in Relation zu setzen. Ein einmaliges Ereignis – der Brand von Notre-Dame – hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt, und sie haben gerne gespendet. Dass da schnell eine große Summe zustandekommt, ist zunächst einmal etwas Wunderbares, ein Zeichen der internationalen Solidarität. 

Das andere ist: Man kann das eine tun – und das andere nicht lassen. Allein in Deutschland werden im Jahr geschätzt etwa drei bis sechs Milliarden Euro pro Jahr an rund 600.000 gemeinnützige Vereine und 15.000 Stiftungen gespendet. (Wikipedia). Also das mehrfache von dem, was nun aus der ganzen Welt für diese Kirche zusammengekommen ist. Es verteilt sich nur eben auf sehr viele Empfänger, so dass bei den einzelnen Organisationen nicht derartige Summen zusammenkommen. In anderen Ländern wird es, so hoffe ich, nicht anders aussehen. Also: Eine Milliarde, die weltweit innerhalb weniger Tage zusammenkam und die aus lauter einmaligen Spenden bestand auf der einen Seite – drei bis sechs Milliarden allein in Deutschland, die jedes Jahr regelmäßig für alles mögliche gegeben werden.

Es ist eine reine Vermutung, die aber durchaus auf Erfahrungswerten basiert: Ich glaube, dass gerade die, die nun großzügig gegeben haben, wohl zum großen Teil auch die sind, die an anderer Stelle gerne und regelmäßig helfen und unterstützen. 

Natürlich gibt es überall solche und solche Menschen. Es gibt die, die gerne geben und helfen, die sich von der Not anderer anrühren lassen. Und es gibt die, die ihr Hab und Gut lieber zusammenhalten und nicht gerne teilen. Und natürlich, leider, auch sehr viele, die überhaupt keinen Gedanken an Spenden verschwenden können, weil ihr Einkommen kaum zum Überleben reicht. Es ist nicht an uns, das zu bewerten, zumal wir gar nicht unbedingt mitbekommen, wer vielleicht im Verborgenen hilft.  

Auch bei den Superreichen gibt es übrigens viele, die ihren Reichtum als Aufgabe verstehen. Menschen, die sich der Gemeinschaft in besonderer Weise verpflichtet fühlen. Erstaunlich viele geben lieber heimlich, möchten keine Publicity und keine öffentliche Anerkennung für ihre Hilfe. Andere gründen Stiftungen, die sich für eines ihrer Herzensthemen einsetzen – etwa Bill und Melinda Gates oder auch die niederländische Familie Brenninkmeijer (C&A), die über ihre Stiftung Porticus weltweit kirchliche Projekte mit großen Summen unterstützt.

Ja, eine Milliarde Euro für ein Gebäude hört sich viel an, und es ist tatsächlich viel Geld. Aber wir dürfen nicht unsere Kultur gegen soziale Belange ausspielen. Beides ist wichtig. Beides gehört zum Menschsein dazu. Und wer einmal in dieser großartigen Kathedrale war, wird dem wohl beipflichten: Sie muss in jedem Fall wieder aufgebaut werden und für zukünftige Generationen erhalten werden.

Doch wenn Sie lieber für etwas anderes spenden – oder eben auch sowohl für diese Kirche als auch für andere Zwecke: Es gibt sehr, sehr viele Organisationen weltweit, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Meine Hoffnung wäre, dass diese Brandkatastrophe und die Diskussion über die Spenden nun dazu beiträgt, dass viele ihr eigenes Spendenverhalten überdenken und mehr geben als einmal im Jahr fünf Euro. So dass auch andere Projekte davon profitieren. Genügend Geld wäre da, das hat sich in diesen Tagen wieder einmal gezeigt.

Evangelischerseits empfehlen wir natürlich guten Gewissens Brot für die Welt beziehungsweise die Diakonie Katastrophenhilfe. Ebenso gibt es natürlich viele, viele große, anerkannte weltweite Hilfsorganisationen und unzählige kleine Projekte bei Ihnen vor Ort. Wenn Sie etwas erübrigen können – geben Sie. Geben Sie großzügig. Für das, was Ihnen am Herzen liegt. Es macht glücklicher. Und es macht unsere Welt zu einem besseren Ort.

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