Evangelisch in schwarz-weiß

Evangelisch in schwarz-weiß

200 Jahre und einen Tag ist es nun also alt: Das Erkennungszeichen der evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer schlechthin – der Talar. Nun ja, meiner ist noch nicht ganz so alt. Mit bestandenem Examen in der Tasche fuhr ich damals zu einem Schneider nach Nürnberg, der sich auf Talare spezialisiert hatte. Genau vermessen wurde ich da. Aufgeklärt, dass natürlich auch noch eine gewisse „Zugabe“ mit eingerechnet werde, denn a) hat man auch mal ein Anzugjackett drunter an und b) nehmen ca. 99,8% aller Pfarrer im Laufe ihrer Tätigkeit zu. Dass es eine bayerische und noch diverse weitere Varianten des Talars gebe (mit Samteinsatz, nur Stoff, was weiß ich noch alles). Ob ich Beffchen zum Binden bevorzuge oder eher welche zum einfach vorne Reinstecken; entsprechend müsse nämlich der Kragen anders gestaltet werden. Und dass die Reinsteckbeffchen mit einer kleinen, praktischen Tasche an der Lasche versehen seien, wo man bei windigem Wetter auf dem Friedhof ein Fünfmarkstück reinstecken solle, zur Sicherung gegen Wegfliegen.

Dann gibt es da noch verschiedene Stoffe zur Auswahl – ich entschied mich für das Standard-Woll-Modell nach dem Motto „im Winter etwas zu dünn, im Sommer etwas zu warm, aber irgendwie immer tragbar und vor allem bezahlbar“. Vielleicht hätte man im Studium mal eine Vorlesung „Talarkunde“ einführen sollen. Ein Semester, zweistündig, Pflichtvorlesung. Stattdessen bekommt jeder angehende Vikar, jede angehende Vikarin hier alle Informationen in hochkonzentrierter Dosis auf einmal verabreicht. So er/sie nicht bei der Konkurrenz von der Stange bestellt. Die gibt's nämlich auch: Talare einfach nach Konfektionsgröße im Internet.

Na ja, ich habe auch die Ultrakurzintensivtalarkundevorlesung überlebt, und ein paar Wochen später brachte der Postbote mir das Paket mit meiner noch nagelneuen und damals heiß ersehnten Dienstkleidung. So stehe ich nun also im Hochsommer schweißüberströmt und mich nach dem Winter sehnend, im Winter bibbernd vor Kälte und vom Sommer träumend im 100% Schurwolle-Talar (bayerische Form) an den Gräbern der Verstorbenen. Dazwischen natürlich noch viel öfter an den Altären der verschiedensten Kirchen, die gelegentlich sogar ganz gut temperiert sind. (Ein kleiner, der Silvesterparty geschuldeter Einschub: Alkoholtest für Pfarrer: Talar, Altar und Talarfalte richtig benennen und auch fehlerfrei aussprechen)

Wie wäre es mal mit ein bisschen Farbe in dem ganzen, tristen Schwarz-weiß? So eine Stola zum Beispiel. Farblich abgestimmt auf die kirchenjahreszeitlich wechselnden Antependien (Tischtücher) an den Tal- äh, Altaren. Ja, so dachte ich früher auch. Doch ich habe festgestellt: Jedenfalls in meiner Heimat, im mittelfränkischen evangelischen Kernland, ist den Menschen die Identifikationsfigur „evangelischer Pfarrer in schwarz-weiß“ wichtig. Noch wichtiger im unterfränkischen Gochsheim, wo ich fast zehn Jahre Pfarrer war: Evangelisches ehemals freies Reichsdorf in katholischer Umgebung. Wir sind evangelisch. Bei uns ist der Pfarrer schwarz-weiß. Und das soll auch so bleiben – so sehen es viele hier. Und ich sah keinen wichtigen Grund, es zu ändern. Als dann noch ein (ehemaliger) Kollege meinte, die Stola sei ein Symbol für das Joch des Pfarramtes, das dem Pfarrer auferlegt wird, wenn er eine Gemeinde leitet – da war für mich klar: Ich bleibe bei schwarzem Talar und weißem Beffchen. Sicher, das war eine Minderheitsmeinung; die wenigsten würden die Stola so sehen – aber für mich ist meine Tätigkeit als Pfarrer zwar oft stressig, aber keine Bürde, eher eine Ehre.

Die Farbauswahl mag nicht so wirklich in unsere Zeit passen. Viele empfinden den schwarzen Talar als trist. Aber ich denke: Es kommt drauf an, was der Träger/die Trägerin daraus macht. Wenn Gottesdienst und Predigt nichts taugen, hilft das bunteste Gewand nichts. 

Ach ja, und Beffchen, die den Talar vor dem vor 200 Jahren modernen Bartpuder schützen sollten, mögen heute insbesondere bei Pfarrerinnen völlig unnütz erscheinen. Trotzdem finde ich es gut, dass wir so etwas wie ein gemeinsames Erkennungsmerkmal haben. Ich trag's auch nicht immer – in moderneren Gottesdienstformen, die wir als Team vorbereiten und auch feiern, passt es nicht. Und doch finde ich es schön, dass es ihn gibt: Den Talar. Ein Teil der evangelischen Identität. Danke, Friedrich Wilhelm III. 

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