"Wer fastet, sollte keine Show draus machen"

Wolfgang Reinbold
epd-bild/Jens Schulze
Der Theologieprofessor Wolfgang Reinbold lehrt an der Universität Göttingen das Neue Testament.
Theologe zur Fastenaktion
"Wer fastet, sollte keine Show draus machen"
In der christlichen Tradition dient das Fasten seit jeher der "inneren Einkehr", der Suche nach Gott. Heute stehen in der am Aschermittwoch beginnenden Fastenzeit bis Ostern sieben Wochen lang für viele Menschen vor allem der Verzicht auf ungesunde Lebensgewohnheiten und köperliche Selbstertüchtigung im Vordergrund. Der Theologieprofessor Wolfgang Reinbold, der an der Universität Göttingen Neues Testament lehrt, sieht zwischen beidem keinem Widerspruch. Wellness und Seelenheil passen nach seiner Ansicht bestens zusammen.

epd: Herr Reinbold, die meisten Menschen bringen das Thema Fasten vor allem mit Nahrungs- oder Alkoholverzicht und körperlicher Ertüchtigung in Verbindung. Dabei handelt es sich ursprünglich vor allem um einen inneren Prozess, der in der christlichen Tradition auch als "Einkehr" bezeichnet wird. Worum geht es dabei genau?

Wolfgang Reinbold: Diese Verbindung kommt vor allem aus der Mystik, deren Ziel es ist, dass die Seele eins mit Gott beziehungsweise mit Christus wird. Das geschieht durch verschiedene Formen und Techniken der Besinnung, der Versenkung oder eben der Einkehr.

In der Bibel gibt es diesen Zusammenhang übrigens noch nicht. Sie kennt weder das Wort "Einkehr" noch die damit gemeinte Sache. Vielmehr heißt es im Evangelium an der wichtigsten Stelle sehr nüchtern: "Wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir vergelten."

Und was genau bedeutet das, wenn Sie es etwas einfacher formulieren würden?

Reinbold: Wer fastet, sollte keine Show draus machen. Man tut es für Gott - und nicht, um seine Nächsten damit zu beeindrucken. Diese klare Ausrichtung auf den inneren Sinn des Fastens und gegen die Selbstdarstellung ist insbesondere für die evangelischen Kirchen grundlegend geworden. Sie hat dazu geführt, dass es heute viele Möglichkeiten und Angebote zur inneren Einkehr gibt. Am bekanntesten ist wohl die Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland "7 Wochen Ohne", die in diesem Jahr - in einer extrem angespannten und ereignisreichen Zeit - unter dem Motto "Luft holen - Sieben Wochen ohne Panik" zum Durchatmen einlädt. Und dazu, trotz der vielen "Bad News" Erdung und Zuversicht zu bewahren.

Wie genau funktioniert "innere Einkehr" eigentlich praktisch? Wie mache ich das?

Reinbold: Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich kann meinen Tagesrhythmus in der Fastenzeit ändern und die Tage zum Beispiel mit einer geistlichen Übung oder einer Meditation beginnen. Oder ich begebe mich in Gemeinschaft, etwa in Fastengruppen oder Fastenseminare, wie sie von einigen Kirchengemeinden während der Fastenzeit angeboten werden. Eine weitere Möglichkeit: Ich nutze eins der vielen Angebote zur inneren Einkehr in den Klöstern, wo es unter Titeln wie "Einkehrtage", "Besinnungstage" oder "Stille Tage" entsprechende Angebote gibt. Allerdings sind die inzwischen äußerst gefragt und oft schon viele Monate im voraus ausgebucht.

Können Menschen, die nicht religiös sind, ebenfalls von einer Zeit der Einkehr profitieren?

Reinbold: Auf jeden Fall. Tatsächlich sind die Angebote oft so ausgerichtet, dass es gar nicht so einfach ist, zu unterscheiden, was im strengen Sinn "religiös" ist und was nicht. Nehmen Sie beispielsweise ein Angebot wie "Fasten und Einkehr", das von einem christlichen Kloster angeboten, von einer Ayurveda-Therapeutin und einer Meditationslehrerin geleitet und mit dem Motto "Fasten zur Stärkung Ihrer Selbstheilungskräfte" beworben wird. Da könnten wir lang diskutieren, wo das Religiöse aufhört und das Säkulare beginnt.

Nervt es Sie eigentlich, dass es beim Fasten heutzutage fast nur noch um Wellness geht?

Reinbold: Ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich so ist. Das belegen ja die eben skizzierten Angebote, die die körperlichen, seelischen und geistlichen Aspekten des Fastens nicht so streng voneinander abgrenzen. Fasten gab und gibt es in fast allen Kulturen und Religionen. Es hat einen inneren, tieferen Sinn, der vielen Menschen guttut- unabhängig davon, wie und wo sich selbst verorten.