14. August 1649. Der Dreißigjährige Krieg ist seit einiger Zeit vorbei. Viel Leid hat er übers Land gebracht. Vieles muss ganz neu aufgebaut, manches auch ganz neu geregelt werden. Für die Stadt Schweinfurt und die Nachbardörfer Gochsheim und Sennfeld ist dieser Tag aber entscheidend für ihre weitere Zukunft: Sie sind wieder frei! „Kaiserlich unmittelbares und freies Reichsdorf“, so können sich die beiden Dörfer seit diesem Tag wieder nennen. Sie sind nicht mehr dem Würzburger Fürstbischof unterstellt, sondern direkt dem deutschen Kaiser, so wie andere freie Reichsstädte auch. Und: Sie werden zu den wenigen gehören, die diesen Status bis zur Zeit Napoleons und der Eingliederung ins Königreich Bayern beibehalten können.
Doch zurück ins Jahr 1649: Schweinfurt, Gochsheim und Sennfeld haben ihre Freiheit wieder. Das muss gefeiert werden: Mit einem Friedensfest. "Und wurde hierauf der 12. Trinitatis von unseren Voreltern das erste Mal ein solennes Friedensfest mit Singen, Musizieren und Predigen gehalten, und dem allerhöchsten Gott für somit erzeigte Hilfe von jung und alt unter großem Zulauf der Schweinfurter, welche dem Gottesdienst ebenfalls mit beiwohnten, herzinnigst gedankt." - so steht es in den Annalen Gochsheims, die auf der Website der Gemeinde zitiert werden.
Dieses Friedensfest wird nun schon seit 361 Jahren gefeiert. Irgendwann wurde es mit der Kirchweih zusammengelegt. Seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, feiern Gochsheim und Sennfeld „Kirchweih und Friedensfest“ nun am ersten und zweiten Sonntag im September. Ja, genau: Ein Sonntag reicht da nicht. Ich persönlich vermute ja, dass der „Nachkirchweihsonntag“ ursprünglich nur der Ersatztermin für Schlechtwetter war. Aber da die Leute sowieso auch bei Regen ausharren, bis es wirklich nicht mehr geht, war so ein Termin eigentlich gar nicht nötig.
Ein Fest mit einer über 350jährigen Geschichte in einem traditionsbewussten ehemals freien Reichsdorf: Das ist natürlich mit Traditionen geradezu übersät. Viele Abläufe sind jedes Jahr gleich. Die Anzüge der „Planburschen“ und vor allem die seltsam anmutenden Hüte sind genau vorgeschrieben. Die Tänze am Plan, dem Dorfplatz, sind die alten fränkischen Rundtänze: Walzer, Rheinländer, Schottisch (Hüpfer) und Dreher. Die lernt man hier als kleines Kind.
Eine Besonderheit hat sich Gochsheim auch gegenüber den Nachbargemeinden erhalten. Kirchweih wird auch andernorts in ähnlicher Form gefeiert, doch nur in Gochsheim ist es immer noch ein „freier Burschenplan“. Das heißt: Junge, unverheiratete Männer und Frauen tun sich zusammen und richten das Friedensfest in eigener (auch finanzieller!) Verantwortung aus. Sie suchen den Wein aus, durch dessen Verkauf die Kapelle finanziert wird. Sie organisieren Werbung, schließen Verträge, bauen Hunderte von Bierbänken auf und ab, kehren mitten in der Nacht die Reste zusammen – und tanzen. Sie sind die ersten, die eine Tour am Plan tanzen – und die letzten, die kurz nach Mitternacht den offiziellen Teil mit einer Ehrentour beenden.
Was das jetzt mit „Stilvoll Glauben“ zu tun hat? Ganz einfach: Es ist Kirchweih. Am Kirchweihsamstagabend kommen die Planpaare schon zum Pfarrer, um ihn zur Kirchweih einzuladen. Am Kirchweihsonntag beginnt der Tag selbstverständlich mit dem Gottesdienstbesuch. Die Planmädchen sitzen schon in der Kirche, die Planburschen ziehen vom Pfarrhaus mit Kreuzträger, Kapelle und Pfarrer zur bis auf den letzten Platz besetzten Kirche. Zwei Bänke sind für sie reserviert: Eine für die Planburschen – und davor eine, nun ja, tatsächlich: Für ihre Hüte. Der Bürgermeister übernimmt in diesem Gottesdienst die Lesung, die Planburschen den Klingelbeutel, die Planmädchen beteiligen sich an den Fürbitten.
Und dann wird gefeiert. Klar, dass auch die Pfarrer am Plan gerne gesehen sind, vor allem, wenn sie gerne tanzen und Wein trinken. Viele Gespräche laufen in der lockeren Atmosphäre. Manches seelsorgerliche Gespräch ist dabei. Manchmal reicht aber auch schon eine kurze Begrüßung, ein Lächeln, ein Händedruck.
Ganz ehrlich: Ich war auf vielen Dorffesten, Kirchweihen usw. Aber etwas Vergleichbares wie in Gochsheim, Sennfeld – und zwei Wochen später im Nachbardorf Schwebheim – habe ich noch nirgends erlebt. Sollten Sie mal in der Nähe von Schweinfurt sein, schauen Sie doch mal auf ein Gläschen Wein und einen Tanz vorbei. Immer am ersten Sonntag im September, am Montag und am Sonntag darauf in Gochsheim oder Sennfeld. Und an den zwei Wochenenden danach in Schwebheim.
So, jetzt muss ich aber los. Es ist Kirchweihmontag. Gleich beginnt der Tanz am Plan.
Mehr über die Kirchweih auf der Website der Gemeinde Gochsheim.
Fotos: Heiko Kuschel, aus verschiedenen Jahren.