Heute habe ich noch zwei Taufen in einer Nachbargemeinde. Ein schöne Sache, ich mach das sehr gern. Vor allem, wenn die Familien sich auch selbst Gedanken machen, Lieder überlegen, Fürbitten formulieren – und das Liedblatt gestalten.
Oh Mist, da fällt mir ein: Ich habs vergessen zu sagen. Na, dann wird es für diesmal wohl zu spät sein. Dann werden die Fürbitten wohl wieder wortwörtlich im Liedblatt abgedruckt sein. Eigentlich kein großes Problem, wären wir Menschen nicht, wie wir halt so sind: Ein bisschen schadenfroh. Wort für Wort kontrolliert die ganze Gemeinde, ob der/die da vorne das auch richtig macht. Dazu kommt noch, dass die abgedruckten Lieder oft aus irgendwelchen obskuren Quellen im Internet in miserabler Auflösung kommen und eigentlich fast nicht lesbar sind; das einzige, was man wirklich gut lesen kann, sind dann halt diese Texte. Da stürzen sich dann alle sehr dankbar drauf.
Also, was passiert?
„Lasst uns beten.“
Gemeinde steht auf.
Großes Rascheln allerseits: Alle holen ihre Liedblätter raus und schlagen den Text der Fürbitten auf.
Fürbittenleserin Nr. 1 steht vor Lampenfieber zitternd am Lesepult. Sie weiß: Alle lesen mit, was sie jetzt gleich vorlesen wird. Wort für Wort. Bloß keinen Fehler machen! Stark nuschelnd trägt sie etwas vor, was bei großzügiger Auslegung in etwa dem entsprechen könnte, was da im Liedblatt abgedruckt ist. Vielleicht war das mit dem Text abdrucken doch keine so schlechte Idee. So eine Art Untertitel. Gut, dass man mitlesen kann. Na ja.
Das gemeinsame „Herr erbarme dich“ beziehe ich innerlich auf die armen, die nun die weiteren Fürbitten vortragen müssen.
Fürbittenleser Nr. 2 steht da wie eine Eins. Eine volltönende Stimme, die die Kirche bis zum letzten Winkel füllt, zeigt der armen Mikrofonanlage ihre Grenzen auf. Heftiges Scheppern aus den Lautsprechern vermischt sich mit dem von den hinteren Kirchenwänden zurückgeworfenen Echo. Gut, dass man mitlesen kann.
Herr erbarme dich.
Fürbittenleserin Nr. 3 ist die zwölfjährige Cousine des Täuflings, die gerade den Vorlesewettbewerb gewonnen/im Bundeswettbewerb Mathematik den ersten Platz gemacht/ein vorzeitiges Theologiestudium aufgenommen hat. Ihre perfekt formulierte Fürbitte trägt sie vor, als wäre es ein Text von Goethe. Ein Genuss. Leider nur für mich, der ich direkt daneben stehe und von ihrem leisen Stimmchen etwas mitbekomme. Die Mikrofonanlage merkt nicht mal, dass es was zum Verstärken gäbe. Gut, dass man mitlesen kann.
Herr erbarme dich.
Fürbittenleser Nr. 4 kommt aus Sachsen. Ich möchte wirklich niemanden diskriminieren, zumal ich auch meinen eigenen Dialekt an dieser Stelle schon manchmal durch den Kakao gezogen habe. Kurz: Gut, dass man mitlesen kann.
Herr erbarme dich.
Immer wieder schön, wenn sich die Familie an so einer Taufe beteiligt. Doch, das finde ich wirklich! Ganz ehrlich und ohne Ironie! Es macht einen Taufgottesdienst viel lebendiger und persönlicher. Danke allen, die sich trauen, da vorne zu stehen!
Eigentlich wollte ich ja heute einen Artikel darüber schreiben, wie wenig förderlich es für die Konzentration der Gemeindeglieder ist, wenn sie beim Gebet jedes Wort auf seine Richtigkeit kontrollieren können. Doch die Erinnerung an so manche Gegebenheit hat mich nun beim Schreiben schon selbst beinahe eines besseren belehrt...
Ähnlichkeiten mit der heutigen Taufgesellschaft sind rein zufällig, denn die habe ich noch nicht erlebt.