Entscheidet euch!

Entscheidet euch!
Gottesdienst ist unsterblich. Die Formen wandeln sich. Das Alte ist nicht schlecht, wenn man das neue Andere entschieden ausprobiert. Aber im anderen Spielraum

Entscheidet Euch! - Gottesdienst im Umbruch

Ich habe mehr als 20 Jahre im gottesdienst institut nordkirche für die Kultur des Gottesdienstes gearbeitet und unzählige Formen und Biotope kennengelernt. Es gibt einen erstaunlichen Reichtum an Fantasie - von der Trance-Einführung bis zum Dorf-Gottesdienst mit vier Beteiligten.

Es wird viel Depressives geschrieben - die Leute kämen nicht mehr in die Kirche usw.. Das ist undifferenzierter Quark, man muss das so offen sagen. Es gibt lebendige Stadtteile und Orte, da kommen die Leute gern und auch zunehmend. Anderes stirbt ab. So ist das in der Natur und überall, auch mit Parteien und Familiensystemen. Und Kirche hat keinen Anspruch mehr darauf, das Christliche allein zu repräsentieren. Die Wandlung des Imperiums ist nicht mehr aufzuhalten.
Es gibt gesellschaftlich eine Neugier fürs Spirituelle in ungeahnter Form, aber bei der Kirche sucht man es eher nicht. Z.B., weil die Kirche zu geprägte Antworten vorhält. Und weil sie mit den Leuten praktisch im Alltag nichts übt, das ihnen das Leben erleichtert.

Ich mache mir aber um die Zukunft des Gottesdienstes überhaupt keine Sorgen. Wenn ich z.B. erlebe, wie viele Hilfswillige erscheinen, wenn eine Gemeinde sagt „wir möchten eine neue Form von Gottesdienst bauen - wer macht mit?“, dann kann ich mich nur verneigen vor deren Lust an dieser Lebensfeier.
Die klassische Form am Sonntag um 10h wird es erstmal nicht mehr flächendeckend geben können. Sie bricht schon hier und da ein, im Osten Deutschlands schon länger - das ist erst der Anfang. Und selbst die EKD (Kirche in Deutschland) Oberen empfehlen sich zu überlegen, ob man zwei bis drei Hauptamtliche regelmäßig darauf weiter verwenden mag. Oder ob nicht mehr Fantasie für Neues auf dem Gebiet angezeigt ist.

Aber die Freude, ein Leben in Gott oder auch Lebensweisheit, also Atemübungen, Beziehungs-Erfahrung usw. aufzuführen ist ungebrochen.

Die findet sich in der Regel in Gottesdiensten gut aufgehoben, die Spielraum für freie Gestaltung offenhalten. Nicht im Regelwerk der Sonntags-Agende. Da sind alle Posten besetzt. Und die Erwartung derer, die (noch) kommen geht zu Recht aufs Wiedererkennen. Wöchentlich öffentlich fromm zu sein ist eigentlich Sache von Mönchen und Nonnen. Und bei denen wurde diese Form über die Jahrhunderte auch gepflegt. Da geht es nicht um Attraktivität, sondern ums Wiederkäuen der alten Weisheiten in Gesängen, Gebeten und diesem kleinen Sprechakt in der Mitte. Wer also wöchentlich Gottesdienst braucht, ist schon eine Art Schwester oder Bruder am Heiligen: ein entschieden frommer Mensch.

Das in der Breite von Menschen zu verlangen ist so abwegig wie von allen zu fordern, sie mögen argentinischen Tango lernen. Was Dazukommende in diesen Gottesdiensten erleben ist eine Turniertänzer-Übe-Einheit. Eingefleischte ziehen ihre Pirouetten, und das kann man anschauen mögen - verstehen wird man es nicht. Es sei denn man übt selber stetig. Man kennt das aus anderen Bereichen: Wer z.B. zum Fussballtraining geht, übt Läufe, Pässe und Kondition, es gibt auch mal ein Spielchen, aber das ganze verläuft vergleichsweise nüchtern. Und man hat sich  irgendwann mal entschieden, diesen Sport aktiv zu betreiben.

Deshalb ist das nichts für Neulinge, z.B. für Konfirmanden. Diese Kargheit der Form mit all ihren Kürzeln und Anspielungen ist ausschließlich etwas für Routiniers. Die anderen können da mal dran lecken, aber statistisch gemessen wenden sie sich im Lauf der Zeit alsbald ab.

Für Anfänger braucht es Gottesdienst-Formen, die selber neu anfangen. Die Klassik-Übe-Form kann es ja trotzdem geben, aber vielleicht eher in der Region und nicht nur alles in derselben Gemeinde, oder nur alle zwei Wochen.

Bei neuen Initiativen melden sich oft Leute, die sich selber nicht fromm finden, aber mal im Dunstkreis frommen Geräusches verweilen möchten. Indem sie z.B. die Technik betreuen oder Essen machen für hinterher. In dieser freibleibenden Halbdistanz lässt es sich leben - und wer weiß, was noch entsteht?

Ich rate deswegen: Verschont eure Klassik-Sparte sonntags um 10 von Originalitäts-Ansprüchen. Da werden die alten Mysterien verwaltet und fertig. Das kann man liebevoll anreichern mit Musik und Wort, aber es bleibt die Übstunde der Entschiedenen.
Und wenn Ihr andere Leute wollt, dann eröffnet eine Gottesdienst-Zone, in der man halbgar fromm sein darf, wo man sich nicht entscheiden muss, wo man auch mitmachen kann ohne gleich verschlungen zu werden. Beispiele dafür gibt es ohne Ende im Netz und bei den Gottesdienst-Instituten.

Also seid entschieden Übende oder entschieden Neugierige - beides in derselben Veranstaltung geht nicht.


 

 

 

 

 

 

 

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