Eine Comiczeichnerin auf Abwegen

Pilgerin Felice Meer
© Olaf Malzahn
Die Pilgerin Felice Meer zeichnet an ihrem Comic.
Pilgern mit Bildern
Eine Comiczeichnerin auf Abwegen
Felice Meer ist Zeichnerin, Autorin und Pilgerin auf Abwegen. Wie es dazu kam, erzählt sie in diesem Interview.

Eine Frau pilgert allein, begegnet vielen und spricht ab und zu mit Frau G. Wie es dazu kam und wie es weiter ging, erzählt die Zeichnerin, Autorin und Pilgerin Felice Meer in einem Interview mit mir.

Wie kamen Sie dazu zu pilgern, und wohin hat es Sie geführt?

Felice Meer: Ich hatte schon lange den Traum, nach Santiago zu laufen und zwar von zuhause aus, in meinem Fall aus der Lüneburger Heide. Corona hat mir die Gelegenheit dazu gegeben.

Was bedeutet pilgern für Sie?

Felice Meer: Unterwegs sein und dabei hören. Hinhören, genau wahrnehmen, was ist. Die Welt im langsamen Tempo des Laufens zu erleben. Im Körper die Entfernung spüren. Pilgern heißt für mich, in meinen täglichen Comics über alles zu zeichnen.

Sie nennen es auch queer pilgern. Was bedeutet das für Sie?

Felice Meer: Zunächst einmal macht es keinen Unterschied, weil ich ja nicht als lesbische Frau und Pilgerin gelesen werde. Aber dann: Begegnungen sind wichtig und ich möchte ehrlich sein. So versuche ich herauszufinden, ob es ok ist oder meinen Gegenüber überfordern würde, wenn ich von meiner Ehefrau erzähle. Ein Beispiel: Letztes Jahr in Wales bin ich sehr freundlich und warm von einer Gemeinschaft der Sieben-Tages-Adventisten aufgenommen worden. Nun, ich habe dann gegoogelt, wie Menschen mit diesem Glauben zum Queersein stehen, also ob ich korrigiere, wenn ich nach meinem Mann zuhause gefragt werde. Dazu kam es dann nicht, aber ich hätte es tun können nach meiner Recherche.

Auf der anderen Seite nehme ich mir die Freiheit, auch in katholischen Gottesdiensten zum Abendmahl zu gehen, obwohl mir das – nicht wegen queer, sondern wegen geschieden  – den Regeln nach nicht erlaubt ist.

Haben Sie ein besonderes Highlight und eine Krisensituation, die Sie erlebt haben?

Felice Meer: Mein absolutes Highlight war eine Begegnung in einem Kloster in Italien. In einer Andacht erzählte der Padre vom Franziskusweg und und fragte dann die Pilger:innen, warum sie auf dem Weg seien. Meine Antwort: Ich bin auf dem Weg, um zu zeichnen, um andere mitzunehmen, die das nicht machen können.

Er antwortete:


"Dio ha scelto i tuoi piedi per camminare per gli altri."
Gott hat deine Füße ausgewählt, um für andere zu gehen.

Dann wusch er uns allen die Füße.

Eine der schwierigsten Situationen war sicher die in den Alpen, als ich wegen eines geschwollenen Knies nicht weiterlaufen konnte. Ich habe darüber gezeichnet.

Sie haben Comics aus queerer Sicht dazu gezeichnet. Was muss ich mir darunter vorstellen?

Felice Meer: Ich zeichne jeden Tag eine Geschichte. Über das Glücklichsein und das Scheitern. Über kleine Beobachtungen am Rande und meine Gespräche mit Frau G. (G. wie Gott). Über das Laufen und Fallen. Darüber, wie mich der Eichenprozessionsspinner fast in den Wahnsinn getrieben hätte, oder wie ich einmal nachts mit einem fremden Mann mitgegangen bin.

Manchmal spielt es eine Rolle, dass ich queer bin und dann taucht das in meinen Geschichten auf, wenn ich darüber erzähle, wie ich den Kontakt mit meiner Frau in dieser langen Zeit halte.

Würden Sie wieder pilgern und wenn ja, wohin?

Felice Meer: Aber ja! Ich bin in drei Jahren über 7.000 Kilometer gepilgert: nach Santiago, Trondheim und Rom. Daraus ist eine Buch entstanden, eine Graphic Novel mit dem Titel „Pilgern in Bildern, Eine Comiczeichnerin auf Abwegen“.
Da ich ungern Wege doppelt gehe, ist das Prinzip, von zuhause aus loszulaufen, in diesem Jahr an eine natürliche Grenze gestoßen.

Muss man, um zu pilgern auf Pilgerwegen unterwegs sein?

Felice Meer: In den letzten Jahren war ich es tatsächlich die meiste Zeit nicht. Erst die letzten etwa 800 Kilometer waren ein „regulärer“ Pilgerweg. Trotzdem habe ich mich den ganzen Weg als Pilgerin gesehen.

Und so bin ich dieses Jahr einer anderen Sehnsucht gefolgt und drei Monate am Meer entlanggelaufen, an den Küsten von Wales und Südengland. Dort war ich auf ungekannte Weise den Naturgewalten ausgesetzt. Es war erschöpfend und faszinierend zugleich. Eine sehr spezielle Erfahrung, auch mit Frau G. Ich plane, auch 2024 am Meer entlangzulaufen, vielleicht dieses Mal an der französischen Atlantikküste. Es gibt noch etwas zu lernen für mich vom Meer, denke ich.

Wie haben Sie sich in der Zeit finanziert?

Felice Meer: Ich finanziere das zum Teil über Crowdfunding. Ich habe auf der Plattform "Steady" eine Community, die mich regelmäßig supportet. Immer, wenn ich loslaufe, kommen neue Unterstützer:innen dazu. Einige kündigen am Ende des Sommers, andere bleiben das ganze Jahr über dabei. Für diese (und für alle anderen natürlich auch) zeichne und veröffentliche ich, auch wenn ich nicht unterwegs bin, jede Woche zwei Comics mit Menno.

Während ich unterwegs bin, weise ich immer mal wieder auf diese Möglichkeit hin. Letztes Jahr habe ich jeden Sonntag in den Stories etwas zum Thema Crowdfunding, kostenlosen Content im Internet und Finanzierung dessen gepostet. Ich möchte, dass mehr Leute wahrnehmen, dass Profis von dem Content leben (sollen können) und es gut wäre, wenn jede und jeder einen oder mehrere Künstler:innen unterstützen würde. Das ist mir ein richtiges politisches Anliegen gewesen. 

Zudem bekomme ich unterwegs Spenden über Paypal. Menschen aus meinem Heimatdorf, die meine Reise verfolgen, stecken einen Briefumschlag mit Geld bei uns in den Briefkasten. 

Im Coronajahr hat mich das überleben lassen. Mittlerweile ist mein Buch erschienen. Ich habe eine Lesung / Reisebericht über die Comics und Fotos, mit der ich unterwegs bin.

Vor allem finanziere ich das aber durch meine Arbeit als Grafikdesignerin.

Was muss sich ändern, damit pilgern aus queerer Perspektive einfacher wird? Haben Sie einen Vorschlag oder einen Wunsch?

Felice Meer: Pilgern ist Leben unterwegs. Es ist wohltuend, entlastend und schön, wenn man als queere Person genauso sein kann, wie jede andere Person auch. Das erlebe ich zunehmend mehr und das ist gut so.

Meine täglichen Comics veröffentliche ich auf Instagram hier
und auf meiner Webseite.

Zum Weiterlesen: 
„Pilgern in Bildern, Eine Comiczeichnerin auf Abwegen“
Edition White Fox im Verlag Monika Fuchs 
148 x 210 mm quer, 332 farbige Seiten, Fadenheftung, Klappenbroschur,
ISBN 978-3-947066-71-1,  24,50 €

 

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