Jesus liebt - wirklich?

"Closed"-Stempel auf dem Ausstellungsplakat von St. Egidien
Wolfgang Schürger
Ausstellung wegen Shitstorm geschlossen
Jesus liebt - wirklich?
Eine Ausstellung in der Nürnberger Kunstkirche St. Egidien wird geschlossen, weil über die Verantwortlichen ein Shitstorm wegen angeblicher "Pornographie in der Kirche" hereinbricht.

Jesus liebt!

"Jesus liebt", unter diesen Titel hat Rosa von Praunheim eine Reihe von Bildern gestellt, die er eigens für die Ausstellung während der Nürnberger Pride Week in der dortigen Kunststation St. Egidien erstellt hat.

Mit dem Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt von 1971 wurde Rosa von Praunheim der öffentliche Wegbereiter und Mitbegründer der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Bis in die 1990er Jahre hinein galt von Praunheim in der Öffentlichkeit und in den Medien als einer der wichtigsten Köpfe der queeren Emanzipationsbewegung. Immer wieder brachen seine Filme mit gesellschaftlichen Tabus oder führten der Gesellschaft ihre Doppelmoral vor Augen.

Weniger bekannt ist für viele, dass Rosa sich immer wieder auch malerisch betätigt. Die Bilder sind natürlich ähnlich klar und deutlich wie die Filme - und damit für manche durchaus provokant. In der Nürnberger Ausstellung präsentiert Praunheim einerseits Bilder, die sich kritisch mit dem Verhältnis von Christentum, Kirche und (Homo-)Sexualität auseinandersetzen, andererseits solche, die biblische Szenen wie die Versuchung von Adam und Eva aus queerer Perspektive und zum Teil mit recht explizit sexuellen Elementen interpretieren (eine Übersicht über die Vielfalt der Bilder im BR-Beitrag).

Dass manches davon von manchen als anstößig empfunden werden könnte, war Thomas Zeitler, dem Kunstpfarrer an St. Egidien, durchaus bewusst. In der Einführung zur Ausstellung betont er aber: "Praunheims Blick auf Religion und Kirche erfolgt aus der Distanz eines selbstbewussten schwulen Mannes, der sich schon mit 17 Jahren durch seinen Kirchenaustritt von der Römisch-Katholischen Kirche emanzipiert hat. Dabei behandelt er die Person Jesu durchaus mit Respekt, nie blasphemisch und als weiterhin ernstzunehmende Ver-Körperung der ‚fleischgewordenen Liebe‘. Genauso ernst zu nehmen sind aber auch Rosa von Praunheims Anfragen an die Schuldgeschichte und -gegenwart der christlichen Kirchen und der Verweis auf die Möglichkeit eines ganzheitlichen, das Sexuelle tabufrei einschließende Liebesverständnisses. Auch da kann die Kirche von den Queers noch viel lernen. Oder
wie das letzte Bild in seiner gelassenen Erwartungshaltung formuliert: 'Wir warten auf Dich!'"

Tatsächlich wurden die Kirchengemeinde und auch Thomas Zeitler persönlich aber gleich in den ersten Tagen nach der Ausstellungseröffnung am Donnerstag, den 20. Juli, vor allem in den sozialen Medien mit Shitstorms und Hasstiraden überzogen. Auch das evangelikale Medium "idea" reihte sich hier ein - bereits am 24. Juli bezeichnete Chefredakteurin Daniela Städter in einem Kommentar unter dem Titel "Pornographie in der Kirche" die Bilder als "erschreckend und abstoßend".

Der Kirchenvorstand von St. Egidien und St. Sebald fühlte sich durch die Reaktionen am 26. Juli gezwungen, die Ausstellung vorläufig zu schließen, am 28. Juli verkündete er den Abbruch der Ausstellung.

Liebt Jesus?

"Natürlich liebt Jesus - uns alle", werden evangelikale und progressive Christ:innen gleichermaßen auf diese Frage antworten. Doch liebt Jesus auch körperlich, sexuell? Die Evangelien zeichnen ein asketisches, asexuelles Bild des Mannes aus Nazareth. Dies zu hinterfragen und etwa zwischen Maria von Magdala und Jesus oder zwischen dem johanneischen Lieblingsjünger und Jesus eine auch sexuelle Beziehung zu vermuten, wurde immer wieder als anstößig empfunden. Gut in Erinnerung sind mir noch die Proteste vor den Kinos, als dort im Jahr 1988 Martin Scorseses Die letzte Versuchung Christi lief. Eigentlich ein total braver, fast schon evangelikaler Evangelien-"Schinken", der über die ersten zwei Stunden einiges an Längen zu bieten hat. Doch im Sterben am Kreuz träumt Jesus davon, dass ihn ein Engel erlöst, vom Kreuz zurück ins Leben holt, und er mit Maria von Magdala eine ganz normale Familie gründet. Bettszene inklusive, versteht sich. Und damit eindeutig zu viel für die evangelikale Seele, die sich zuvor eigentlich 120 Minuten lang inniger Hingabe erfreuen hätte können.
Kein Wunder also, dass Rosa von Praunheims Bilder manche provozieren, wenn sie Jesus in erotischem Kontext darstellen.

Wen liebt Jesus?

Noch provozierender freilich wird es offenbar für viele, wenn Praunheim queere - und hier in erster Linie: schwule - Sexualität in eine positive Verbindung mit dem Glauben bringt. Oliver Marquart, Redakteur beim Sonntagsblatt Bayern, hat recherchiert und festgestellt:

Es lässt sich auf Twitter sehr leicht nachvollziehen, wie die große Aufregung über "Jesus liebt" entstehen konnte: Einschlägig bekannte Accounts mit großer Reichweite, die dort täglich Verschwörungsideologien, Queerfeindlichkeit und Rassismus verbreiten, haben das Thema ganz gezielt hochgekocht und ihren Follower:innen zum Fraß vorgeworfen.
Das Ziel ist keine kritische Auseinandersetzung mit der Ausstellung, die ja durchaus möglich wäre – wenn man sie denn noch sehen könnte. Ihr einziges Ziel ist es, alles Progressive und Woke zu canceln. Die Kirche ist für sie ein Lieblingsfeind, weil diese in ihren Augen zu liberal, zu tolerant, zu woke geworden ist. Das passt in ihre Erzählung vom Untergang eines verweichlichten, dekadenten Abendlandes.

Marquart kommt daher zu dem Ergebnis, dass die endgültige Schließung der Ausstellung "leider kein angemessener Kompromiss, sondern ein Sieg der Cancel Culture – von ganz Rechtsaußen" sei.

Hätte es zu Jesu Zeiten Twitter (pardon: X) gegeben, es hätte sich wohl ein ähnlicher Shitstorm über die Gruppe der Jüngerinnen und Jünger ergossen, wann immer Jesus wieder einmal mit Zöllnern, Prostituierten oder Tagelöhnern gemeinsam beim Abendessen gesichtet worden wäre.

Im Wirken Jesu von Nazareth nämlich wird immer wieder deutlich, dass Gottes Liebe gerade denen am Rande der Gesellschaft gilt - und zwar ganz bedingungslos, wie wir in der Geschichte von Jesus und Zachäus lesen können (Lk 19,1-10).
Für die gut bürgerliche Seele ist das anstößig - damals wie heute. Und doch gründet darin das Wesen der Kirche, wie es im Einsatz für Arme, Alte, Kranke, Gefangene und Flüchtlinge immer und immer wieder durch die Jahrhunderte hindurch zum Ausdruck kommt.
Weisen Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken darauf hin, dass auch weitere, aktuelle Randgruppen der Gesellschaft an dieser bedingungslosen Liebe Gottes Anteil haben, dann ist das provokant, setzt aber allzu oft ein notwendiges Nachdenken in Gang. Ein beeindruckendes Beispiel ist für mich die Fotoausstellung Ecce Homo der schwedischen Fotografin Elisabeth Ohlson:

Elisabeth Ohlson Wallin (Jahrgang 1961) begann ihre fotografische Karriere als Pressefotografin bei mehreren Tageszeitungen. Seit 1988 ist sie freischaffend tätig und ist Autorin mehrerer Bildbände unter anderem zu den Themen HIV und Aids, zur Homosexualität und zu menschlichen Beziehungen. Die Idee zu Ecce Homo kam Elisabeth Ohlson Wallin, nachdem mehrere ihrer Freunde Anfang der neunziger Jahre an Aids gestorben waren. Einige Christen behaupteten, Aids sei eine Strafe Gottes: “Ich erkannte, welche große Verantwortung die Kirche auf sich nimmt, wenn sie sich zu homosexuellen Menschen äußert. Mit der Ethik und der Moral, die wir in der Bibel finden, müssen wir heute immer noch leben”, so Ohlson.
Die Ausstellung wurde zuerst 1998 in Stockholm gezeigt. Die Reaktionen in der Kirche wie in den Medien waren wohl ähnlich heftig wie auf Rosa von Praunheims Bilder. Viele Besucher:innen waren der Meinung, die Ausstellung sei Gotteslästerung. Auf der anderen Seite standen Tausende von Menschen Schlange, um eingelassen zu werden, sich von Jesus ein anderes Bild zu machen und sich von den Bildern berühren zu lassen. Kurz nach der ersten Vernissage wurde Ohlson eingeladen, ihre Fotografien auch am Sitz des Erzbischofs von Schweden, der Domkathedrale von Uppsala, zu zeigen.

Die Erklärung des Kirchenvorstands von St. Egidien und St. Sebald klingt angesichts dieser eindeutigen Option Jesu für die Ausgegrenzten und Schwachen ziemlich hilflos: "Der Kirchenvorstand sieht in dieser Atmosphäre von Verunsicherung, Verletzung und Wut aktuell keine Möglichkeit mehr, einen zielführenden und versöhnenden Diskurs zu führen. Er ist davon überzeugt, dass eine Diskussion über Homosexualität und Kirche, über Queerness und weiterführende Fragen zur Sexualität in der Kirche geführt werden muss."

Da wundere ich mich doch sehr, denn solch eine grundlegende Diskussion haben die Evangelischen Kirchen in Deutschland in den letzten dreißig Jahren längst geführt - mit dem eindeutigen Ergebnis, dass homosexuelle Menschen in den evangelischen Kirchen willkommen sind und für ihre Partnerschaften den Segen Gottes zugesprochen bekommen.
Es ist ein schwacher Trost, dass die Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern in einer Stellungnahme zu der Entscheidung des Kirchenvorstandes betont, dass queere Menschen "einen Platz in unserer Kirche haben und mit ihren Anliegen mittendrin sind in der Kirche." Weiter fordert sie dazu auf, auch aufzuarbeiten was in der Vergangenheit alles schiefgelaufen sei - mit der Causa Praunheim gibt es da jetzt einen Anlass mehr, den sie sich vornehmen kann.

Dialog mit Kritiker:innen - Ja, Ausgrenzung von Randgruppen - Nein

Oliver Marquart bringt es da schon eher auf den Punkt, wie Kirche angemessen und glaubwürdig auf solch einen Shitstorm und Hasstiraden reagieren sollte:

Die Ausstellung einfach zu schließen, löst kein einziges Problem. Warum gibt es keine Podiumsdiskussionen, keine Führungen, keinen Versuch, mit konstruktiven Kritiker:innen in den Dialog kommen? Ein souveräner Umgang mit Kritik bei gleichzeitiger klarer Abgrenzung gegen Hetze würde der Kirche hervorragend zu Gesicht stehen. 

Verständlich ist daher auch die Reaktion des Nürnberger CSD-Vereins, der die endgültige Schließung als "ein fatales Zeichen" betrachtet. Kirche sei "in diesem konkreten Fall kein 'safe space' für queere Menschen und ihre Kultur" gewesen. Vielmehr: "Wir haben nun hautnah erlebt, wie rechtsextreme und evangelikale Kräfte versuchen, Homosexualität weiter zu verteufeln, zu beschämen und aus dem Raum der Öffentlichkeit zu drängen."

Kunstpfarrer Thomas Zeitler selbst gesteht im Gespräch mit mir, dass er die Macht eines organisierten Shitstorms von rechts deutlich unterschätzt hatte. Immerhin scheint sich der Kirchenvorstand trotz der Entscheidung zum Abbruch deutlich hinter seinen Kunstpfarrer gestellt zu haben, wie in der Stellungnahme vom 28. Juli deutlich wird:

Der Kirchenvorstand ist dankbar für die positiven und bestärkenden Rückmeldungen der Kulturszene in Nürnberg zu der Ausstellung und der Kulturarbeit von St. Egidien durch Kulturpfarrer Thomas Zeitler und sein Team. Der Kirchenvorstand sieht sich dadurch in seinem kulturkirchlichen Engagement bestärkt.

Zu wünschen wäre freilich gewesen, dass er sich dann auch deutlicher gegen die Shitstorm gestellt hätte, so wie Oliver Marquart das beschreibt:

Shitstorms sind (...) meistens Ausdruck einer lauten, radikale Minderheit, die von sich selbst nur behauptet, im Namen der Mehrheit zu sprechen. Und dieser entschieden entgegenzutreten, hat mit unnötiger Polarisierung nichts zu tun, sondern vielmehr mit notwendiger Abgrenzung. Man muss, nein, man darf es nicht jedem recht machen wollen, insbesondere nicht, wenn unsere Grundwerte, in diesem Fall die Kunstfreiheit, angegriffen werden.

Und, so möchte ich ergänzen, nicht nur der Grundwert der Kunstfreiheit, sondern auch das Grundprinzip des Christentums: die bedingungslose Liebe Gottes zu denen am Rande!

 

Weblinks:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_von_Praunheim

https://www.br.de/nachrichten/kultur/jesus-liebt-queere-ausstellung-in-nuernberger-egidienkirche,TkT0tvE

https://www.br.de/nachrichten/kultur/endgueltiges-aus-fuer-queere-ausstellung-jesus-liebt-in-nuernberg,TlHEwIA

https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kirche/warum-die-kirche-dringend-eine-strategie-gegen-cancel-culture-braucht?fbclid=IwAR1vj9XGPkoe9vUpjgTBIoF8RlmHmwA2UMK0SKjVTOjTu-HsrOl_Lv8KOso

https://lsbk.ch/ecce-homo/

weitere Blogs

In den USA sind manche Schnellrestaurants durchaus religiös.
In Boppard artete die Feier nach einer Taufe ziemlich aus
... darüber dass Schönheit nicht aufhört