„Christus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“, so grüßen wir uns in den Ostertagen. Am Ostermorgen bricht neues Leben an – und wer in den letzten Tagen zu einem Osterspaziergang unterwegs war, konnte dies auch überall in der Natur beobachten.
Ostern und Weihnachten, die beiden christlichen Hochfeste, bekommen für mich ihre Tiefendimension durch die Verbindung mit den Kreisläufen der Natur: Zur Zeit der Wintersonnenwende, wenn die Tage wieder länger werden, feiern wir Weihnachten und singen „Licht, das in die Welt gekommen…“. Und wenn nach dem ersten Frühjahrsvollmond alles blüht und sprießt, loben wir im Osterhymnus Gott, der am Ostersonntag den Tod besiegt und das Leben wiedergebracht hat.
Diese Verbindung von Naturdynamik und Glaubensdynamik „funktioniert“ allerdings nur auf der Nordhalbkugel unserer Erde – das ist mir in der Zeit, die ich in Brasilien gelebt habe, deutlich bewusst geworden: Auf der Südhalbkugel beginnt jetzt der Herbst, und wenn die Kirchen dort die Geburt des Lichtbringers Christus feiern, dann werden die Tage dunkler. Mit Blick auf die Missionsgeschichte und die zum Teil enge Verbindung von Kolonialisierung, Ausbeutung und Mission ist das dann plötzlich doch wieder eine tief gehende Symbolik…
Auch für viele queere Menschen war die Kirchengeschichte über viele Jahrhunderte eine Geschichte von Unterdrückung und Verfolgung gewesen. In den europäischen Kirchen hat sich das in den letzten Jahrzehnten zum Glück geändert. Der am Ostermontag verstorbene Papst Franziskus hat auch in der römisch-katholischen Kirche eine Veränderung möglich gemacht. So sind die Kirchen jetzt für manche Queers zu einem Ort des Willkommens geworden - in einer Zeit, in der an anderen Orten Verfolgung und Unterdrückung wieder zunehmen. Dass Donald Trump alle Diversity-Programme beendet hat, verwundert nicht, dass aber das oberste Gericht Großbritanniens in der letzten Woche geurteilt hat, dass nur "biologische" Frauen einen Anspruch auf Schutz durch das britische Gleichstellungsgesetz hat, hat mich dann aber doch erschreckt. Gut, dass viele dagegen auf die Straße gegangen sind!
Unterdrückung, Ausgrenzung, Krieg, Tod und Zerstörung - sie sind auch in den Ostertagen allgegenwärtig. Auch die aufkeimende Natur ist in diesem Jahr schon früh bedroht: Wer beim Osterspaziergang genauer den Boden angesehen hat, wird festgestellt haben, wie trocken und fest dieser jetzt im Frühjahr schon ist. Während Teile Europas in den letzten Tagen unter Starkregen gelitten haben, herrscht bei uns jetzt schon Dürre…
In der Tradition der orthodoxen Kirchen, deren Osterfest in diesem Jahr zeitgleich mit dem unsrigen ist, hat das Motiv der Höllenfahrt Christi seinen festen Platz in den Ostertagen. Der italienische Maler Andrea Mantegna hat sie um 1470 herum für den Herzog von Mantua in beeindruckender Weise dargestellt: Wir sehen Christus in Gestalt eines Wanderers, der in den Limbus, den Zwischenbereich zwischen Erde und Hölle, hinabgestiegen ist. Seine rechte Hand streckt er – für uns als Betrachter kaum sichtbar - in eine dunkle Höhle im Hintergrund des Bildes hinunter. Aus der Tiefe der Höhle greift ein Mann nach dieser Hand, um von ihr heraufgezogen zu werden. Strahlende Augen hat Mantegna ihm gezeichnet – ganz anders als bei den beiden Männern, die auf der linken Seite des Limbus in ihrem Zwischenzustand verharren.
„Hinabgestiegen in das Reich der Toten“, bekennen wir im apostolischen Glaubensbekenntnis. Am Karfreitag ist Jesus tot, ganz tot. Gott mitten unter den Toten. In Andrea Mantegnas Bild wird deutlich, warum dieses Bekenntnis nicht belanglos ist: Im Limbus, dem ehemals gottfernen Raum, ist der gekreuzigte Christus selbst gegenwärtig. Und damit ist auch die Hölle nicht mehr gottfern, Christus reicht auch dort hinein – „das Licht scheint in der Finsternis“, um es mit der Weihnachtsbotschaft zu sagen.
Auch in der Welt nach Ostern ist nicht einfach alles gut – es gibt weiterhin Krieg und sinnlosen Tod und Zerstörung. Und manchmal könnte man verzweifeln, weil gerade wieder einmal alles noch viel schlimmer zu werden scheint... Das Bild der Höllenfahrt Christi will ein Gegenbild zu dieser Verzweiflung sein: Es macht uns Mut, genau hinzusehen, genau diese Orte des Leidens, der Zerstörung und des Todes nicht auszublenden aus unserem Leben. So, wie wir in der Liturgie der Karwoche den Karfreitag aushalten müssen, so können wir auch Tod, Leiden und Zerstörung in unserer Gegenwart aushalten. Denn wir wissen, dass mit dem Karfreitag nicht alles vorbei war. Darum hoffen und vertrauen wir darauf, dass Gottes auch an den Todesorten und in den Todeszonen unserer gegenwärtigen Welt neues Leben erwecken kann und will. Ostern ist das große Fest der Hoffnung – und manchmal auch das Fest der Geduld, wenn wir den Eindruck haben, dass einfach immer noch nicht alles gut ist, dass wir immer noch im Zwischenzustand des Karsamstags zu leben.
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