Gendert gemach! Sprechet saumselig!

geistvoll in die Woche
Gendert gemach! Sprechet saumselig!
ich wurde in den letzten Monaten nach meinen Blogs öfter mal gefragt, warum ich nicht gendere. Der Eindruck ist falsch. Ich gendere durchaus bei bestimmten Anlässen... aber eben nur da und das dann auch ganz bewusst...

Ich muss etwas ausholen: es ging mir schon als Kind so, dass ich fand, dass Männer sprachlich benachteiligt werden. Erwachsene sprachen sich mit "Sie" an, auch wenn es Männer (also eigentlich Ers) waren und wenn wir Kinder auf dem Schulhof waren, hieß es: da sind Schüler. - Wenn nur wir Mädchen da standen, bekamen wir eine eigene sprachliche Form: da sind Schülerinnen. Wenn nur Jungs da waren, hieß es aber wieder nur: da sind Schüler. Sie waren offenbar nicht so wichtig, dass sie ein eigenes Wort für sich bekommen hätten. Das fand ich gemein und ungerecht. Schon in der Grundschule hatte ich deshalb die Idee, man sollte eine eigene Form auch für die männlichen Leute kreieren: Schüler für alle, Schülerinnen für nur Mädchen und Schüleronnen für nur Jungs. Aber meine Idee hat sich nicht durchgesetzt. 

Später studierte ich Pädagogik und Germanistik in Heidelberg. Meine allererste Hausarbeit im Jahre 1996 (bei Prof. Dr. Brumlik) ging um Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache und die Gender-Idee. Damals genderte noch kaum jemand und die Forschung steckte noch in den Kinderschuhen. Aber ich war sehr motiviert und las mich in alles ein, was ich fand. Und kam so zu einem Ergebnis, das ich heute immer noch so sehe: Gendern ist ne prima Sache, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Aber andauerndes Gegendere nur um des "jeder und jede soll sich in jeder Situation ausdrücklich angesprochen fühlen" ist nicht nur nicht zielführend, sondern kontraproduktiv. Zum einen, weil es an Akzeptanz für diese zeitraubende Sprachform fehlt, was dann sogar zu einem Gegeneffekt führen kann (was derzeit ja gut zu beobachten ist anhand der vielen Genderverbote) und zum anderen verwischt es die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten gegen Frauen, die es doch ursprünglich mal eigentlich zu überwinden helfen sollte. 

Wenn man also von Automechaniker:innen schreibt, obwohl es quasi fast nur Automechaniker gibt, dann decke ich sprachlich zu statt auf. Wenn man neuerdings Pflegefachperson statt Krankenschwester sagt, macht man sprachlich sogar unsichtbar, dass vor allem Frauen in diesem Beruf ausgebeutet werden. 
Gleichzeitig war ich aber zum Beispiel immer dafür, dass man statt "der Aufsichtsrat der Firma xy tagte",- man ausführen sollte: "die 58 Aufsichtsräte und zwei Aufsichtsrätinnen tagten". Das würde das in den meisten Unternehmen noch vorhandene Missverhältnis deutlich machen... 

Anders gesagt: ich bin also keineswegs grundsätzlich gegen das Gendern. Ich bin aber für situatives Gendern. Und nicht für andauerndes. So wie es derzeit betrieben wird, finde ich es enorm geistlos und es hat - ebenso wie die Genderverbote - etwas enorm Übergriffiges und zutiefst Ideologisches an sich. 

Konkret beobachten kann man diese absurden Machtspielchen zwischen "Genderbefürwortern" und "Genderinnengegnern" kürzlich in Kassel, wo Schreibweisen, wie jene mit dem Binnen-Doppelpunkt, von der schwarz-roten Regierung in Wiesbaden der Landesverwaltung mit Rücksicht auf Bürgernähe und Rechtschreibregeln verboten wurden. Statt zum Beispiel „Schüler:innen“ sollte es also in offiziellen Dokumenten „Schülerinnen und Schüler“ heißen. Das aber wiederum war den Leitern des Kasseler Zentrums für Lehrer:innenausbildung nicht genderinklusiv genug. Sie regen an, stattdessen die Formulierung „Schülerinnen, Schüler, nicht-binäre Lernende an Schulen sowie solche, die sich keiner geschlechtlichen Kategorie zuordnen möchten“ zu verwenden." 

Kann man natürlich machen. 

Kann man aber auch lassen. 

Wenn die sprachliche Form so monströs wird, dass sie den Inhalt des Gesagten in den Hintergrund treten lässt, scheint mir das nicht hilfreich zu sein. Und so gut ich es finde, über Sprache und gerechte Sprache nachzudenken, so ungut finde ich es, wenn man andere Leute sprachlich reglementieren will. Egal aus welcher Motivation. Und deshalb mein Appell für diese Woche: Sprecht schön miteinander. Inhaltlich und formal. Benutzt vor allen Dingen mal wieder Wörter, die epochal hübsch sind, Ihr Banausens :) Sprecht kreativ und freut Euch darüber, dass es sprachliche Vielfalt gibt, statt Euch gegenseitig wegen vermeintlich falscher Formulierungen zu affrontieren und zu tadeln. Frischauf! Seid fürderhin galant und holdselig in dem, wie Ihr zueinander sprecht!


 

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