Als ich am Montagabend die ARD-Dokumentation „So wie Gott mich schuf. Coming-out in der katholischen Kirche“ sah, war ich gerührt vom Mut der Lesben, Schwulen und Trans Personen, die dort offen für ihr So-Sein und für ein Ende der (nicht nur arbeitsrechtlichen) Diskriminierungen in der römisch-katholischen Kirche eintraten. Auch wenn ich selbst nicht in einer kirchlichen Einrichtung arbeite: ihre Geschichten, ihre Sehnsüchte, ihre Ängste, der Druck und die Nötigung, alles zu verheimlichen - ihre Erfahrungen, das waren auch meine Erfahrungen und wohl auch (immer noch) die Erfahrungen der meisten LGBTIQ*.
Und ich war schockiert, dass es sich um eine Dokumentation von 2022 handelt, die menschenfeindliche Strukturen und eine verwaltungstechnische Kälte aufzeigt, die man „gefühlt“ (und auch weil man naiv ist) als Relikt der fünfziger Jahre oder von noch früher wähnte. Es ist ja nicht der einzige Bereich, wo sich über Jahrzehnte nichts oder nur wenig und wenn, dann nur im Millimeterbereich verändert hat innerhalb der katholischen Kirche.
Und ich war wütend, wirklich wütend, über die maßlose Arroganz mancher „Kirchenoberen“ gegenüber homosexuellen Angestellten; über die Dreistigkeit, mit der Menschen in angeblich verantwortungsvoller Position anderen, die in der Hierarchie angeblich unter ihnen stehen, Unverschämtheiten ins Gesicht sagen; über die gotteslästerliche Eitelkeit, die Christlichkeit mit einer moralischen Überlegenheit und einem Ausgewähltsein, das zur psychischen und physischen Ausgrenzung anderer ermächtigt, verwechselt. Konkret ist mir die Erzählung einer hochschwangeren Lesbe vor Augen, die zwei Wochen vor ihrem Mutterschaftsurlaub noch aus ihrer Arbeitsstelle geworfen wird – weil es sich bei ihrer Lebenspartnerschaft mit einer Frau um einen "schwerwiegenden Loyalitätsverstoß" handele.
Natürlich gab es auch andere Reaktionen, etwa als einem kirchlichen Mitarbeiter auf einer katholischen Veranstaltung der Kragen platzte (was einem Coming-out gleichkam), weil dort unentwegt ein falscher Zusammenhang zwischen Homosexualität und Kindesmissbrauch propagiert wurde. Noch am Abend klingelte bei ihm das Telefon, der Kirchenobere rief an ... doch Gott sei Dank kam nicht die Kündigung, sondern Unterstützung.
„Die“ katholische Kirche ist so wenig ein monolithischer Block wie „die“ evangelische Kirche – schon gar nicht in Deutschland. Die ersten Reaktionen von deutschen Bischöfen wie Politik*innen sind ermutigend, das Ausbleiben der Reaktionen mancher Bischöfe enttäuschend, aber nicht unerwartet. Und selbst wenn meine evangelische Kirche heute in weiten Teilen offen gegenüber Homosexuellen ist, unser Leben und unsere Liebe akzeptiert und wohlwollend zu begleiten bereit ist, sollte beim Blick auf den kirchlichen Mitbewerber nicht ganz vergessen werden, dass auch in der evangelischen Kirche ein weiter und mitunter schmerzlicher Weg zu gehen war. Die Dringlichkeit von Änderungen zumindest im Arbeitsrecht, das betont heute auch der Kirchenrechtsexperte Jacob Joussen auf evangelisch.de.
Eine berührende Dokumentation mit den Schicksalen von Schwestern und Brüdern und dazu die zeitgleiche Initiative #OutInChurch, bei der sich mehr als 100 hauptamtliche, ehrenamtliche, potenzielle und ehemalige Mitarbeiter*innen der römisch-katholischen Kirche als schwul, lesbisch, non-binär, trans, queer geoutet haben – ein guter, ein wichtiger, ein mutiger und ein selbstbewusster Auftakt für das neue Jahr. Seine große Stärke hat er darin, dass er das, was oft zu allgemein und für viele oft zu theoretisch unter „sexuelle/geschlechtliche Identität“ verhandelt wird, auf die konkrete, unmittelbare Lebenswirklichkeit herunterbricht.
Wer in einem Beruf innerhalb der katholischen Kirche zu seiner*ihrer geschlechtlichen Identität und/oder sexuellen Orientierung steht, dem*der „drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Zerstörung der beruflichen Existenz“, heißt es in einem auf der Internetseite outinchurch.de nachzulesenden Manifest. Dort wird gefordert, „als LGBTIQ+ Personen in der Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten zu können“ und „freien Zugang zu allen pastoralen Berufen zu erhalten“. Auch queere Menschen, queere Beziehungen seien von Gott gesegnet, und dies müsse in den Riten und Feiern der römisch-katholischen Kirche zum Ausdruck gebracht werden – dazu zähle „mindestens auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die um einen solchen Segen bitten“.
Doch bei aller Fokussierung auf konkrete Bereiche, unstrittig ist, dass es dabei auch „ans Eingemachte“ geht. So formuliert das Manifest: „Eine Kirche, die in ihrem Kern die Diskriminierung und die Exklusion von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten trägt, muss sich fragen lassen, ob sie sich damit auf Jesus Christus berufen kann.“
Ihr Ringen um dringend notwendige Diskussionen und Änderungen in der römisch-katholischen Kirche müssen und werden katholische Homosexuelle und Trans Personen aus eigener Kraft, mit viel Leidenschaft und christlicher Überzeugung führen müssen. Sie brauchen dazu die Unterstützung von Freundinnen und Freunden aus der eigenen Kirche – und die Solidarität aus der evangelischen Kirche, von queeren Christen allgemein und von der LGBTIQ*-Community allgemein – religiös oder nicht religiös. Auch wenn der eine oder die andere meint, es geschehe den Gläubigen gerade recht, dass sie von ihrer Kirche (in der sie ja aus freiem Willen sich engagieren) diskriminiert werden. Das, was dort verhandelt wird, war und ist nicht nur Teil der gesamten Geschichte der Homosexuellen und der erlittenen Ausgrenzungen und Demütigungen. Es ist auch noch immer Teil in vielen Teilen der Arbeitswelt in Deutschland, selbst wenn hier der säkulare Staat Grenzen durch Arbeitsschutzgesetze und Antidiskriminierungsgesetze geschaffen hat (die für den kirchlichen Bereich teilweise nicht gelten). Aber wie oft werden diese in Anspruch genommen? Wie oft ertragen Berufstätige nicht Schikanen von Vorgesetzten, scheuen die Konsequenzen von Widerrede oder gar einen Prozess? Das Anliegen von #outinchurch ist durch die Situation in der römisch-katholischen Kirche sehr speziell und berührt doch das Grundlegende und Universelle: Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit ist nie und nirgendwo akzeptabel.