"Glaube und Queer-Sein nicht mehr als Gegensätze begreifen"

"Glaube und Queer-Sein nicht mehr als Gegensätze begreifen"
Buchcover edws / Männerschwarmverlag
Der Sammelband "Zwischen Annäherung und Abgrenzung" geht dem Spannungsverhältnis zwischen LGBT und Religion nach. Er fragt nicht nur, was ist, sondern auch, wo Chancen zur Veränderung liegen.

"Religiös und LSBTIQ zu sein wird oft als Gegensatz wahrgenommen", heißt es in der Einleitung des von Carolin Küppers und Martin Schneider herausgegebenen Bandes "Zwischen Annäherung und Abgrenzung". Häufig fänden sich gläubige LSBTIQ "in einer zweifach unverstandenen Position wieder – von anderen LSBTIQ und von ihren Religionsgemeinschaften". Verständlich aufgrund der ablehnenden Haltung gerade der abrahamitischen Religionen und einer jahrhundertelangen Geschichte von Verfolgung und Ausgrenzung. Dennoch wollten "LSBTIQ ihren Glauben und ihr Queer-Sein nicht mehr als Gegensätze begreifen, sondern als verschiedene Aspekte einer intersektional verstandenen Persönlichkeit".

Der vorliegende Band geht auf eine Tagung gleichen Titels in der Akademie Waldschlösschen im Dezember 2018 zurück. Jeder der sieben Vorträge widmet sich einem spezifischen Schwerpunkt. Jene, die sich den Religionen widmen, wie auch der zu Inter-/Transsexualität lassen sich als guter Überblick über historische Zusammenhänge/Entwicklungen wie aktuelle Fragestellungen lesen.

So geht etwa Serena Tolino von der Frage aus, ob das westliche/westeuropäische Konzept von Homosexualität (das sich mit dem einer homosexuellen Identität verknüpft) ohne Weiteres auf den Nahen Osten übertragbar ist, während sich Sabine Exner-Krikorian verschiedenen Positionen innerhalb des US-amerikanischen Judentums - mit Exkurs auf Deutschland – zuwendet. Mit den Begriffen „liberal“ und „pastoral“ kontrastiert Michael Brinkschröder „Evangelische und katholische Wege zur Akzeptanz von Lesben und Schwulen“ und liefert sowohl einen profunden historisch-theologischen Überblick als auch spannende Analysen z.B. der Haltung von Papst Franziskus.

Dem Problem, dass „Fragen von LSBTIQ (...) in der Theorie des Buddhismus ‚keine Rolle‘ spielen, da sie als solche gar nicht problematisiert oder überhaupt erst als problematisch erkannt werden“, stellt sich Martin Friedrich Kagel. Ausgehend vom Buddhismus Nichiren Daishonins, einem japanischen Gelehrten des 13. Jahrhunderts, arbeitet er die „Wertschätzung der Einzigartigkeit in der Vielfalt eines jeden einzelnen Menschen“, also auch von Homosexuellen und Transgender, heraus.

Der Beziehung von religiösem Erweckungserlebnis und homosexuellem Coming-out in der Literatur geht Joachim Bartholomae nach und bietet eine erhellende Lektüre von „Go Tell it on the Mountain“ des amerikanischen Bürgerrechtlers James Baldwin und dem Roman „Song of the Loon“ von Richard Amory, dem – so Bartholomae – „ersten Textporno der amerikanischen Literatur“. Die Protagonisten finden „Erlösung“ auf je eigene Weise: durch „die Identifikation mit der kollektiven Leidensgeschichte der Schwarzen in Amerika“ und durch den Rückgriff auf Schutzgeist-Rituale der amerikanischen Ureinwohner*innen.

Joachim Bartholomaes "Feuertaufe oder Visionssuche" ist eigentlich der einzige Beitrag, der das individuelle Erleben (und sei es in der Vermittlung durch Literatur) thematisiert. Das „persönliche Erleben“, wie es der Untertitel des Bandes verspricht, bleibt ansonsten eher Randnotiz. Bei der Tagung selbst, das lässt sich erahnen, wird es in den Gesprächen nach den Vorträgen sicher darum gegangen sein – wie es die Einleitung der HerausgeberInnen beschreibt –, „welche persönlichen Erfahrungen LSBTIQs mit den Glaubensgemeinschaften gemacht haben, denen sie sich zugehörig fühlen, und wie sie diese unterschiedlichen Zugehörigkeiten (LSBTIQ sein und religiös sein) miteinander in Einklang bringen“. Dass diese so wenig Eingang in den Band gefunden haben, ist ein kleiner Wermutstropfen in der ansonsten wunderbaren Sammlung kluger Gedanken.

Zwei Beiträgen behandeln dann aber zumindest indirekt die Folgen, die kirchliches Handeln/Nicht-Handeln auf Menschen und deren Leben haben kann und hat. Hinsichtlich Inter- und Transsexualität mahnt Gerhard Schreiber unter dem Titel „Blinder Fleck“ einen anderen, offeneren Umgang mit dem Thema der geschlechtlichen Vielfalt an. Der abschließende Aufsatz von Regina Ammicht Quinn über Scham scheint zunächst aus der Zeit gefallen, hat aber durchaus die aktuellen Fälle sexueller Gewalt gegenüber Kindern unter dem Dach der Kirche im Blick. Sie kritisiert nicht nur die begangenen Verbrechen, sondern auch den Versuch, Homosexualität/Homosexuelle als Sündenböcke zu attackieren. Die (katholische) Kirche sollte stattdessen Scham angesichts des eigenen Verhaltens empfinden und Scham als selbstreflektierende Perspektive sehen. Ein nicht ganz einfacher Text, der aber lange nachhallt.

„Zwischen Annäherung und Abgrenzung“ ist eine wichtige Standort-Bestimmung in den aktuellen Debatten um Religion und Akzeptanz von – im weitesten Sinne – queeren Menschen. Die Beiträge gehen kritischen Fragen nicht aus dem Weg, sondern diskutieren sie auf eine Weise, die statt einfachen oder polarisierenden Antworten Möglichkeiten und oft übersehene Potenziale aufzeigt. Religionen werden nicht mehr als monolithische Einheiten mystifiziert, sondern als Gebilde untereinander konkurrierender Diskurse verstanden. Das eröffnet Denkräume, die Bewegung in scheinbar festgefahrene Gegensätze und Strukturen bringen könnten.

Buchinfo: Carolin Küppers, Martin Schneider (Hg.): Zwischen Annäherung und Abgrenzung – Religion und LSBTIQ in gesellschaftlicher Debatte und persönlichem Erleben, Männerschwarm Verlag 2021 (Edition Waldschlösschen, Bd. 18), 200 Seiten, 20 € (auch als e-book erhältlich).

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