Ein Motto für alle?

Ein Motto für alle?
Um ein geplantes Motto für den Kölner CSD ist eine heftige Debatte entbrannt. Braucht es solche Mottos überhaupt, wenn sie eher spalten als einigen?

Das Erstaunlichste an dem Wort "Motto" ist, dass es auf das lateinische "muttum" zurückgeführt werden kann, was einen "Muckser" meint, also einen kaum wahrnehmbaren Laut, dem allerdings ein Moment des Aufbegehrens inne ist. Heute verstehen wir unter einem Motto einen Slogan, der möglichst viele Menschen zusammenbringen und ein gemeinsames Anliegen zum Ausdruck bringen soll.

Solch einen Muckser haben die Organisatoren des CSD Köln von sich gegeben und es wurde ein lautes Gebrüll daraus. "Einigkeit! Recht! Freiheit!" sollte das Motto für die diesjährige Parade der Rheinmetropole lauten - mit explizitem Verweis darauf, man wolle die Deutungshoheit dieser Werte nicht Nationalisten und Populisten überlassen. Es gab massive Kritik, u.a. verwiesen in einem Offenen Brief (dokumentiert auf queer.de) dreißig Unterzeichnende darauf, dass die Emanzipationsgeschichte der LGBT-Bewegung auf globaler Solidarität und Offenheit beruhe, die den nationalen Fokus zu überwinden suche. Die Bezugnahme zur Nationalhymne sei kontraproduktiv, weil sie bei vielen Minderheiten eher ausschließend verstanden werde.

Bei einer eilig angesetzten Diskussionsveranstaltung herrschten teils chaotische Zustände (Bericht queer.de vom 17.1.2020), letztlich entschieden sich die Organisatoren für ein neues Motto. Nach so viel Aufregung klingt "Für Menschenrechte" freilich sehr nüchtern, aber sei’s drum: Falsch ist das Motto nicht.

Ich möchte gar nicht länger bei der Debatte um das Kölner Motto verweilen. Johannes Kram hat im Nollendorfblog eine, wie ich finde, sehr interessante Replik formuliert, dass das Ansinnen, bestimmte Werte dürften nicht den Rechten überlassen werden, auf ein erstaunliches Desinteresse der bürgerlichen Mitte trifft, eben diese Werte auch wirklich für alle in unserer Gesellschaft umzusetzen.

Interessant ist nicht nur, weshalb Mottos plötzlich eine derartige Dynamik entfalten können, sondern auch, wie sie zustande kommen und warum es sie heutzutage überhaupt noch gibt. Dem "Muckser" liegt heute ein sehr spezielles Verständnis zugrunde, das meines Erachtens dem so viel beschworenen Wunsch nach Gemeinsamkeit zuwiderläuft.

Mottos sind in unserer Mediengesellschaft zum unhinterfragten Bestandteil von unhinterfragten PR-Maschinerien geworden. Für einzelne Forderungen, die von CSD-Veranstaltern meist kurz vor den Paraden veröffentlichen, ist in der Wahrnehmungshektik kein Platz und keine Zeit und kein Interesse. Im Haifischbecken der Aufmerksamkeitsökonomie bleibt oft gar keine andere Wahl, als die plakative Verknappung. Wie in der Werbung wird darum "die Produktinformation" auf Schlagworte zusammengeschrumpft, wobei dem "Schlagen" zunehmend mehr Bedeutung zukommt als dem "Wort".

In der Debatte um das Kölner Motto blieb unbemerkt, dass in Berlin 2006 das Motto ebenfalls der Dreiklang der Nationalhymne sein sollte. Darum gab es natürlich auch eine Debatte und hier wurde der Akzent schließlich verschoben, so dass "Verschiedenheit und Recht und Freiheit" übrigblieb. Die damalige CSD-Organisation, die ohnehin nicht gerade für Zimperlichkeit im Gedächtnis bleiben wird, bekannte damals unumwunden: "Wir wollen ja provozieren." (taz vom 19.12.2005)

Damit hat sich jedes hehre Begehren zugleich immunisiert. Selbst wenn die Debatte schief oder aus dem Ruder läuft, am Schluss kann man sich immer elegant wieder ins rechte Licht setzen: "Man habe ja genau diese Diskussion anregen wollen", heißt es dann, "Anlass zum Nachdenken geben". Das klingt schon schwer nach Bibelkreis und Tageslosung. Doch was in einem geschützten Raum einer kirchlichen Gemeinschaft erhellend sein mag, weil das Wohlwollen der Teilnehmenden füreinander quasi vorausgesetzt ist, nimmt im grellen Licht der (Medien-)Öffentlichkeit einen ganz anderen Charakter an.

Die Vorstellung, die solch "provozierende" Mottos hervorruft, ist die einer großen, anonymen Masse, die auf der Couch liegt und Chips essend vor sich hin verblödet und verfettet. Die träge Masse muss aufgeschreckt werden, mithin bekehrt und auf den rechten Weg gebracht werden. Und zwar von oben herab.

Das mag im Prinzip gut gemeint sein: Aber ein CSD ist keine (moralische) Lehranstalt. Und darum sollten die gewählten Mottos auch nicht immer krampfhaft so tun, als müssten sie irgendwelche anderen, irgendwie immer dumm und ignorant Gebliebenen, also uns alle, zum tiefen Nachdenken anregen und bessern.

Den CSD-Mottos und der Art, wie sie gesetzt werden, wohnt mitunter ein patriarchaler Duktus inne. Einen Brocken in die Runde zu schmeißen, an dem sich andere dann abarbeiten, während man selbst die Oberhoheit behält, ist ein seltsam antiquiertes Verfahren und zielt vielleicht weniger auf gemeinschaftliche Veränderung denn auf Zeitverbrennen. Die mit hohem Pathos aufgeladenen Mottos verpuffen auch deshalb so schnell, weil sich schon nach kurzer Zeit niemand mehr dafür interessiert und sich niemand mehr für die ach so wichtige Debatte verantwortlich fühlt. (Interessanterweise nehmen sehr, sehr viele Menschen am CSD teil, gleich, welches Motto er hat, und gleich, welche Debatten es im Vorfeld darum gab.) Wer zum gemeinsamen Nachdenken anregen will, sollte sich vorab Gedanken machen, auf welche Weise er dazu einlädt. Impulse für den Einzelnen sind dabei etwas anderes als Schlagworte im öffentlichen Raum. Gleich bleibt aber die meist unbeantwortete Frage, wie nachhaltig denn erhitzte, einer Tagesaktualität geschuldeten Debatten sind, und wo denn der Raum bleibt, auch dann noch nachzudenken, wenn die Karawane längst weitergezogen ist.

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