Warum mir Dieter Nuhrs Homophobie ziemlich egal ist

Warum mir Dieter Nuhrs Homophobie ziemlich egal ist
Dieter Nuhr nennt den Schwulenrechtler und Blogger Johannes Kram einen Irren und verhöhnt schwule Sexualität. Trotzdem ist die Frage nach der Homophobie des Herrn Nuhr ziemlich unerheblich, ja sogar kontraproduktiv. Die berechtigte Kritik an ihm muss auf einen anderen Punkt abzielen.

Am 19. Dezember zeigte die ARD einen Jahresrückblick mit und von Dieter Nuhr. In dieser Sendung kommentierte der Entertainer verschiedene Ereignisse und Themen aus dem zu Ende gehenden Jahr 2019. Während seines etwa sechzigminütigen Monologes nimmt Nuhr auch Bezug auf öffentlich geäußerte Kritik an ihm. Der Komiker verwahrt sich gegen den Vorwurf der Homophobie und nennt die Person, die diese Aussage getätigt hat, einen Irren. Es gibt kaum einen Zweifel, dass Nuhr hiermit den Schwulenrechtler und Blogger Johannes Kram meint. Kram hatte in einem Interview mit dem Tagesspiegel den anti-homosexuellen Inhalt von Äußerungen Nuhrs aufgezeigt, die der Entertainer im Rahmen seiner Sendung Satire Gipfel formulierte. Eine umfassende Analyse von Nuhrs Auftritt legte Kram in seinem 2018 erschienenen Buch Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber … die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft vor. In seinem Werk überzeugt der Autor mit der These, dass Humor immer dann anti-homosexuell (oder wie Kram es ausdrückt: homophob) ist, wenn Homosexualität, das heißt beispielsweise homosexuelle Handlungen, verhöhnt wird. Am Beispiel des eben genannten Auftritts von Nuhr arbeitet Kram präzise heraus, wie der Entertainer Pointen erzeugt, indem er sich jener anti-homosexuellen Diskurse bedient, die Analsex unter Männern verspotten. Der Komiker malt unter anderem das klischeehafte Bild des sexsüchtigen "Schwulen", der unter der Dusche nicht an sich halten kann, wenn sich sein Nebenmann bückt, um die heruntergefallene Seife aufzuheben und gleich über diesen herfallen wird. Nuhr wies die Kritik an diesen und anderen Äußerungen von ihm bereits kurz nach Erscheinen des Buchs von Kram als abstrus zurück. Damit, dass Nuhr Kram jetzt als einen Irren bezeichnet, erreichen diese Reaktionen des Entertainers eine neue Qualität.

Dass politische Gegner_innen für geistesgestört erklärt werden, hat eine lange unheilvolle Tradition. Wer abweichende Überlegungen zu denen der Herrschenden anstellt, wird pathologisiert. Dahinter steht der fatale Gedanke: Wenn eine Person anders denkt als ich oder als wir, dann kann mit dieser etwas nicht stimmen, ja dann muss sie psychisch krank sein. Menschen, die homosexuell begabt sind, haben diese Erfahrung in besonders drastischer Weise machen müssen. Ihre Liebe, ihr Begehren und ihre Sexualität wurde ab dem 19. Jahrhundert von Psychiatern (Psychiaterinnen gab es meiner Kenntnis nach damals noch nicht) zur psychischen Störung erklärt. Die Wirkmacht dieser Pathologisierung hält bis heute ins 21. Jahrhundert an. Ein Beleg dafür ist, dass erst im letzten Jahr ein Verbot sogenannter Konversionstherapien vom Bundeskabinett für die Bundesrepublik Deutschland beschlossen wurde. Nuhr schließt sich der Logik dieses Pathologisierungsparadigmas an. Der einzige Unterschied ist, dass er Kram nicht wegen seiner sexuellen Präferenzen für irre erklärt, sondern wegen dessen Kampf gegen die Diskriminierung derselben. Der Tenor der Aussage bleibt dabei allerdings gleich. Heute wird nicht mehr zum Gegenstand gemacht, dass da diese vermeintlich geistig gestörten Männer sind, die sich gegenseitig penetrieren, weil sie vermeintlich keine gelungene Geschlechtsrollenidentität entwickelt haben – oder wie immer auch die pseudo-wissenschaftlichen Erklärungsmuster lauten mögen, die diverse Quacksalber_innen über die Jahrhunderte anführten. Heute erklären Nuhr und andere jene für psychisch krank, die konsequente Gleichberechtigung fordern und sich dafür auch einsetzen. Die dahinter liegenden wichtigen Gründe für diese Forderungen werden gar nicht mehr gehört und zum Gegenstand einer Auseinandersetzung gemacht, sondern als wahnhafte oder irre Ideen diskreditiert.

In der Art, wie Nuhr die Kritik an seinen anti-homosexuellen Äußerungen abwehrt, wird eine Paradoxie erkenntlich, die sich aus der Insuffizienz des Begriffs der Homophobie speist. Der Unterhalter bestreitet immer wieder, dass er homophob sei und begründet dies unter anderem damit, dass er schwule Freunde habe. Eine Diskussion über die Frage, ob Nuhr nun homophob ist oder nicht, wie sie der Komiker ja selbst evoziert, scheint mir aber weder angemessen noch zielführend. Um über Homophobie Aussagen treffen zu können, müsste der Begriff an sich erst einmal genau bestimmt werden. Ansonsten wird ein begriffliches Vakuum aufrechterhalten, das nur immer wieder die Auseinandersetzung über seinen tatsächlichen Inhalt und ob dieser nun jeweils zutreffend ist oder nicht hervorbringt. Darum warne ich vor dem inflationären Gebrauch dieses Wortes. Eine Phobie, das ist eine psychische Erkrankung, bei der ein Mensch eine unangemessene Angst hat. Die Psyche spielt der Person, salopp ausgedrückt, einen Streich, sorgt dafür, dass sie panische Angst beispielsweise vor einer Spinne hat, die der Person objektiv betrachtet nicht den geringsten Schaden zufügen kann. Dass Homosexualität in unser aller Psyche unbewusste Ängste und die Abwehr dieser Ängste hervorruft, halte ich für sehr wahrscheinlich. Wir alle sind in einer Gesellschaft sozialisiert worden, die Heterosexualität als deren Fundament behauptet. Da muss alles, was dieses Fundament infrage stellt, als bedrohlich erscheinen. Doch in wie weit das individuelle Erleben und Verhalten einer Person von diesen Ängsten und deren Abwehr geprägt ist, bleibt eine psychologische Frage. Letztlich ist es auch wenig sinnvoll bei einer psychischen Prägung, die (fast) jeder Mensch in sich trägt, von einer Phobie zu sprechen. Eine Phobie, also eine Pathologie, bezeichnet ja immer eine Differenz zum Allgemeinen. Wir reden aber bei Homosexualitätsabwehr nicht von einer Krankheit, sondern von diskriminierenden gesellschaftlichen Strukturen, die in unsere Psyche eingegangen sind. Wem diese Strukturen nun wie weitgehend beeinflussen, das ist eine Frage, die jeder Mensch mit sich selbst ausmachen muss oder für deren Klärung professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Doch als Gegenstand eines politischen Diskurses ist sie nicht geeignet. Darum ist für den hier verhandelten Sachverhalt auch völlig unerheblich, ob Nuhr homophob ist oder nicht. Von mir aus, wenn er darauf besteht, soll er sich als der einzige nicht "homophobe" Mensch auf der Erde sehen. Es handelt sich hierbei um eine Pseudodiskussion, die an der Kritik von Johannes Kram völlig vorbei geht. Denn das was Kram und andere an Nuhr monieren, ist nicht ein bestimmter Wesenszug. Wenn der Komiker dies tatsächlich glauben sollte, überschätzt er damit das öffentliche Interesse an seiner Psyche. Kram kritisiert schlicht das Verhalten von Dieter Nuhr. Anders gesagt: Nicht die Person von Nuhr als solche wird als "homophob" bezeichnet, sondern dessen Aussagen. Und das zurecht, denn der Entertainer bedient mit seinen oben dargestellten Äußerungen anti-homosexuelle Klischees, die seit Generationen dazu beitragen, Diskriminierung, Gewalt sowie den Hass auf homosexuell begabte Menschen zu schüren und zu perpetuieren. Daran ändert auch ein noch so großer Kreis von homosexuell begabten Freund_innen nichts.

Nuhr beklagt in seinem Jahresrückblick, heutzutage würde jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Für eine Person, die von der Verbreitung ihrer Worte lebt, die ein großes Sendungsbewusstsein hat, Säle mit Tausenden von Menschen füllt und Millionen an den Bildschirmen erreicht, ist diese Klage ziemlich unangemessen. Nuhr steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, dazu hat er sich mit seiner Berufswahl selbst entschieden und es scheint ihm auch zugefallen. Die Worte, die der Entertainer in seinen Auftritten wählt, sind nicht einfach nur schnell dahin gesagt, sondern wohl überlegt. Der Unterhalter trägt als öffentliche Person für eben diese Worte Verantwortung. Zu dieser Verantwortung gehört es, dass die eigenen Aussagen nicht dazu beitragen, dass homosexuell begabte Menschen diskriminiert werden. Kommen Nuhr oder andere jener Verantwortung nicht nach, dann müssen sie sich auch gefallen lassen, dass Menschen wie Johannes Kram sie für ihre Worte kritisieren.

Julian Nagelsmann, der Trainer des RB Leipzig, hat vor kurzem verkündet, dass er Profi-Fußballer, die sich als schwul identifizieren, unterstützen würde, wenn diese ihre Sexualität offenlegen wollen. In der Tat ist es bezeichnend, dass es im Fußball, einem Feld in dem wie in wenigen anderen das was als männlich gilt oder nicht verhandelt wird, bislang keinen aktiven deutschen Profi-Spieler gibt, der den Mut zu einem sogenannten "Coming-out" hat. Verständlich ist dies jedoch alle Mal. Sicherlich gibt es keine einfachen Kausalerklärungen und als solche möchte ich das Folgende auch nicht verstanden wissen, aber was glaubt Nuhr denn, welche Wirkung Worte wie jene, die er beim Satire Gipfel gesprochen hat, haben? Wie fühlt sich wohl ein homosexuell begabter Junge, der Nuhrs Sendung schaut und sich dort mit dem Klischee des sexsüchtigen "Schwulen" konfrontiert sieht? Was lösen diese Zuschreibungen an Männer, die Menschen des eigenen Geschlechts begehren, in dem Jungen aus? Wie schlagen sie sich in seiner Psyche nieder? Und wie ergeht es diesem Jungen, wenn er am nächsten Tag in der Umkleide in seinem Fußballverein von anderen hört: "Habt ihr gestern auch Nuhr gesehen? Also haltet mal alle schön eure Seife beim Duschen fest...", und dann allgemeines Gelächter ausbricht?

Menschen wie Johannes Kram und viele andere, auch ich möchte mich dazu zählen, haben erlebt, wie es ist, Diskriminierung zu erfahren, nicht zuletzt am eigenen Leibe. Auch aus diesen Erfahrungen heraus haben wir unsere Tätigkeiten als Blogger_innen, Autor_innen, Politiker_innen, Wissenschaftler_innen etc. aufgenommen. Wir tun dies nicht, weil wir Langeweile haben, uns nichts Besseres einfällt oder wir ein inniges Vergnügen daran haben, Dieter Nuhr zu ärgern. Unser Ziel ist es, der Diskriminierung, dem Hass und der Gewalt gegen homosexuell begabte Menschen ein Ende zu setzen. Ich empfehle Dieter Nuhr und anderen sich dieses, wenn sie sich wieder bemüßigt fühlen, uns und unsere Arbeit oder unsere Form der Liebe, des Begehrens und der Sexualität zu verhöhnen, klar zu machen. Weiter empfehle ich Nuhr und anderen, ein wenig Demut zu entwickeln und denen, die Diskriminierung erleben und erlebt haben, einfach mal zuzuhören. Nuhr kritisiert häufig Menschen, die nicht mehr aus ihrer Meinungsblase herauskommen. Herr Nuhr sollte sich selbst einmal aus der seinigen bewegen. In Coming-Out-Gruppen, schwulen Anti-Gewaltprojekten sowie sozial- und geisteswissenschaftlicher Forschung könnte er sich ja beispielsweise einmal anhören, welche destruktiven Wirkungen Worte wie die, die er im Satire Gipfel gewählt hat, entfalten können.

Wenn er dazu nicht bereit sein sollte und auch nicht einmal den Versuch unternehmen will, die Kritik an ihm zu verstehen, dann erinnere ich ihn an den Rat, den er in den ersten Jahren seiner Karriere selbst gegeben hat: "Wenn man keine Ahnung hat einfach mal … ".

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