Hoffentlich werde ich hier jetzt nicht zum Lateinamerika-Kolumnisten - aber ich muss heute einfach schon wieder über diesen Kontinent schreiben: Gut eine Woche ist es her, dass der Oberste Gerichtshof Brasiliens die Absicht erkennen hat lassen, Hassvergehen gegen Queers genauso zu ahnden wie rassistisch begründete Vergehen. Das Gericht wird die brasilianische Legislative auffordern, umgehend ein Gesetz zu verabschieden, in dem Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung mit rassistisch oder ethnisch begründeten Verbrechen gleichgestellt ist.
Diese Aufforderung trifft ein Parlament, in dem der rechtsradikale Präsident Jaír Bolsonaro eine komfortable Mehrheit hat. Bolsonaro selbst aber hat noch im Wahlkampf davor gewarnt, dass Brasilien nicht zu einem "Paradies für schwule Touristen" werden dürfe. Nach seinem Amtsantritt am 1. Januar dieses Jahres hat die Gewalt gegen Queers in Brasilien deutlich zugenommen. Der offen schwule Kongress-Abgeordnete Jean Wyllys hat daher Ende Januar Brasilien verlassen und ist nach Deutschland emigriert.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bezieht sich auf zwei Vorfälle aus den Jahren 2012 und 2013 - dass die Richterinnen und Richter gerade jetzt damit Position gegen die Politik des Präsidenten beziehen, macht LGBTIQ-Aktivist*innen Mut in einem immer gespalteneren Land. Daniela Mercury, eine sehr bekannte Sängerin und UNICEF-Botschafterin in Brasilien, die offen mit ihrer Frau zusammenlebt, kommentierte die Entscheidung des Gerichts: "Es war ein langer und schwieriger Weg, aber das ist ein großer Sieg! Wir sind sehr glücklich. Jetzt müssen wir auf diesem Fundament aufbauen und die Kultur in unserem Land verändern."
Es ist eine sehr unheilige Allianz von ultra-konservativen Politiker*innen und evangelikalen oder pfingstlerischen Freikirchen, die zu einer kulturellen Stimmung in Brasilien geführt hat, in der Homophobie aufblühen kann. Besonders deutlich wird dies an der aktuellen Familienministerin, die eigentlich auch für die Rechte der Queers zuständig ist. Doch Damares Alves ist selbst evangelikale Pfarrerin und weigert sich, diese Zuständigkeit anzunehmen. Sie kritisiert lieber die „Genderideologie“ und spricht von einer neuen Ära Brasiliens, in der Jungs wieder blau tragen und Mädchen wieder pink.
Aubrey Effgen, Beauftragter für queere Bürgerrechte im brasilianischen Bundesstaat Espirito Santo, sieht daher eine breite Bildungsarbeit als Herausforderung für die Zukunft. Das nun geforderte Antidiskriminierungsgesetz sei eine wichtige politische Grundlage, doch: "Auch das Anti-Rassismus-Gesetz hat es nicht geschafft, den Rassismus in Brasilien zu beseitigen - seit dreißig Jahren nicht, bis heute. Doch ich hoffe, dass dieses Gesetz jetzt die Grundlage ist, um die Unterdrückung von Queers zu verringern und ein Bildungssystem aufzubauen, aus dem weniger vorurteilsbeladene Bürgerinnen und Bürger hervorgehen."
Am heutigen 5. Juni wird die endgültige, öffentliche Abstimmung des Gerichts in der Plenarsitzung stattfinden.