Solidarische Gemeinschaft leben

Solidarische Gemeinschaft leben
Foto: Wolfgang Schürger
Mit "Fetisch" verbinden wir nicht sofort "Solidarität". Und doch waren und sind es gerade die Fetisch-Vereine, die soziale Aufgaben in der queeren Community wahrnehmen.

Fetisch hat vielfältige Formen. In der schwulen Szene Nordeuropas und Nordamerikas war bis zu Beginn dieses Jahrhunderts Leder als Fetisch nicht wegzudenken. Schwule Männer waren als "Lederkerle" unterwegs - vielleicht, um in besonderer Weise ihre Männlichkeit herauszustellen und damit dem Schimpfwort der (verweiblichten) Schwuchtel oder Tunte etwas entgegen zu setzen, vielleicht, weil Leder einfach den Ruch von etwas Animalischem hatte und hat. Auf manche wirkte und wirkt dieser Lederfetisch freilich abschreckend.

Meine erste Begegnung mit der Lederszene liegt rund dreißig Jahre zurück. In meiner Heimatstadt hatten wir gerade einen lesbisch-schwulen Sportverein gegründet und waren nun zum ersten Turnier unterwegs. Auf der Tribüne - zwei Lederkerle, die Ralph König nicht schöner hätte zeichnen können: harte Männlichkeit, ein Touch von animalisch. Während einer Spielpause saßen wir vor der Halle im Freien. Wieder sah ich die beiden Ledermänner - die gerade dabei waren, ihren weißen Pudel Gassi zu führen. Seitdem ist mir klar: Fetisch - das ist vor allem ein großes Spiel, hinter mancher harter Schale steckt ein weicher Kern.

Ein halbes Jahrhundert ist es jetzt her, dass mit dem „Ochsengarten“ in der Müllerstraße das erste Leder- und Fetischlokal Münchens aufgemacht hat. Da war der unselige Strafparagraph 175 noch lange nicht abgeschafft und ein gleichgeschlechtliches Liebespaar in der Öffentlichkeit undenkbar. Die Fetisch-Clubs und Bars waren ein Freiraum in einer ansonsten noch nicht so bunten und liberalen bundesrepublikanischen Gesellschaft. Natürlich war mit dem Fetisch oft auch eine sexuelle Freizügeligkeit verbunden. Das führte dazu, dass gerade die Leder-Community Anfang der 80er Jahre auch ganz massiv von dem HI-Virus heimgesucht wurde. Gerade in diesen Jahren zeigte sich dann, dass die Fetisch-Community aber viel mehr ist als eine Sex-Community. In einer Zeit, in der andere - auch die Kirchen - noch möglichst jeden Kontakt mit Infizierten und Kranken mieden und CSU-Politiker laut über die Lagerhaltung infizierter Schwuler nachdachten, entstand aus der Fetisch-Community heraus ein umfassendes Netz der sozialen Fürsorge für Infizierte und Kranke. Auch heute noch haben viele Fetisch-Vereine einen "Sozialwart" und eine Sozialkasse, aus der Mitglieder in finanziellen Notlagen unterstützt werden können. Gesellige Events gehören zum Vereinsleben dazu, ein engagierter Vorstand weiß um die soziale Lage seiner Mitglieder.

Queers, die aus anderen Teilen Deutschlands oder Europas zum Münchner CSD kommen, erzählen mir regelmäßig, dass sie den Münchner CSD so erfrischend anders finden, weil bei ihm deutlich wird, dass er von einer Vielzahl von Vereinen getragen und gestaltet wird - und nicht in erster Linie von den einschlägigen kommerziellen Akteuren der Szene. Diese sind ebenfalls präsent - oft als Sponsoren von Vereinswagen, aber die Vereine prägen das Erscheinungsbild. Einer davon ist der Münchner Löwenclub, der in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert und mich zu diesem Blog animiert hat.

Der Münchner Löwen Club wurde in den 1970er Jahren von Leuten aus dem Umkreis des „Ochsengartens“ gegründet  und zählt heute mit rund 600 Mitgliedern und mehreren Tausend registrierten Freunden zu den größten und ältesten schwulen Fetischvereinen der Welt. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter blickt in seinem Grußwort zum Geburtstag auf die Anfangszeiten zurück und stellt dann fest:
"Inzwischen ist Schwulsein bei uns erfreulicherweise zu einer von der Allgemeinheit größtenteils akzeptierten Realität und mehr noch zu einem integralen Bestandteil unserer offenen, vielfältigen und bunten Gesellschaft geworden. Letzte Hürden werden aus dem Weg geräumt, die Ehe für alle ist jetzt endlich Realität. Und natürlich sind Schwule und Lesben längst auch im Münchner Kulturleben angekommen: sie schwuhplatteln, demonstrieren beim Christopher Street Day, feiern bei Pink Christmas und ziehen zum Gay Sunday auf die Wiesn. An diesem ersten Wiesn-Sonntag trifft sich die Münchner Community traditionell in der Bräurosl, organisiert wie alle Jahre vom Münchner Löwen Club. Und genau dem gilt mein Dank für sein jahrzehntelanges schwullesbisches Engagement und insbesondere auch für die Förderung so renommierter Institutionen wie der Münchner Aids-Hilfe oder des diversity-Jugendzentrums. Ich gratuliere dem MLC München zu 40 Jahren Gay Sunday und wünsche dem Verein auch für die Zukunft alles Gute!"

Die "geschwisterliche Gemeinschaft", die für kirchliches Leben das Ideal ist - in vielen Fetisch-Vereinen wird sie ebenfalls gelebt. Ich kann mich daher den Glückwünschen von Dieter Reiter nur anschließen. Ohne die (Fetisch-)Vereine wäre die queere Community wirklich sehr arm.

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