Buntheit üben für die Ewigkeit

neue Kirchenformen
Buntheit üben für die Ewigkeit
In Rotterdam setzt eine christliche Gemeinschaft ganz bewusst auf Internationalität

Die Niederlande: Einst ein ziemlich stark christlich geprägtes Land, heute in weiten Teilen in einem Maß säkularisiert, wie wir es in Westdeutschland vermutlich erst in etlichen Jahren erleben werden. Nur im sogenannten „Bible Belt“, etwa in der Mitte der Niederlande, ist der christliche Glaube noch stärker verbreitet.

Die Protestantische Kirche der Niederlande versucht, neue Wege zu gehen. Sie setzt stärker auf „Church plants“, neue Kirchenpflanzungen, die von Pionieren dort aufgebaut werden, wo es zum Teil fast gar kein kirchliches Leben mehr gab. Etwa 150 gibt es davon mittlerweile.

Die Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem bayerischen Dekanat Schweinfurt (und damit auch ich) besuchen in diesen Tagen einige dieser church plants in Rotterdam, um davon zu lernen: Wie gehen sie mit der Situation um? Was hilft? Wie gestalten sie ihr Leben als Gemeinde? Was kommt da möglicherweise auch in einige Jahren auf uns in Deutschland zu?

Von einer dieser Gemeinden möchte ich heute erzählen: ICF Rotterdam Noord, direkt hinter dem Hauptbahnhof. ICF steht für „international Christian Fellowship“, also Internationale christliche Gemeinschaft“, und genau das ist schon Programm: Als Pastor Fred Kappinga diese Gemeinschaft vor einigen Jahren gründete, suchte er ganz bewusst in der multikulturell geprägten Stadt Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. China, Brasilien, Afrika, USA: Ein bunter Mix entstand, in dem natürlich auch die kulturellen Unterschiede immer wieder deutlich werden und in der Menschen auch ihre eigene, oft schreckensvolle Migrationsgeschichte mitbringen. Was für die einen selbstverständlich ist, ist für die anderen völlig unverständlich oder vielleicht sogar bedrohlich. Und das gilt sowohl in Glaubensfragen als auch im täglichen Leben.

Wie kann so eine Gemeinschaft funktionieren? Gibt es da nicht ständig Missverständnisse und Streit?

„Wir versuchen, zu verstehen, was unser Gegenüber zu seiner oder ihrer Position bewegt, statt auf unserem Standpunkt zu beharren“, beschreibt es eines der Mitglieder der wachsenden, aber noch kleinen Gemeinschaft. Oft lassen sie auch verschiedene Dinge nebeneinander stehen. Da sie beispielsweise die Räume einer Baptistengemeinde mit nutzen, kam natürlich auch die Frage auf: Wollen wir Kinder taufen oder machen wir’s wie unsere Gastgeber und taufen ausschließlich Menschen, die sich selbst dafür entschieden haben? Tatsächlich stehen nun beide Positionen in der Gemeinde einfach nebeneinander. Die einen machen’s so, die anderen so. Aber: Sie haben viel darüber geredet und haben sich dadurch auch mehr Klarheit über die eigene Position verschafft: Warum sehe ich das so, wie ich es sehe? Warum sieht mein Gegenüber es anders?

Das ist sicherlich oft anstrengend, für manche auch zu anstrengend. Aber es ist nötig, findet Pastor Fred. Er meint: „In Gottes Reich kommen wir sowieso alle zusammen, da wird es auch so bunt zugehen. Dann ist das hier schon mal eine gute Übung.“ Schließlich hat auch Jesus in Matthäus 28 die Jünger aufgefordert, „in alle Welt“ zu gehen und „alle Völker“ zu lehren.

Das durchzuhalten ist nicht einfach. Er berichtet von einer Situation, als viele aus dem internationalen Leitungsgremium wegzogen und mehrere Niederländerinnen und Niederländer gerne dazu gekommen wären. Aber: „I am Dutch enough“, ich bin genug Niederländer, wir brauchen Menschen aus anderen Kulturkreisen, damit diese Internationalität erhalten bleibt. Diese Buntheit erhält sich also auch nicht von selbst, sie muss immer wieder gestützt werden, denn wir Menschen sind nun mal so, dass wir uns lieber mit Gleichgesinnten umgeben. Für die Mitglieder von ICF besteht die Gemeinsamkeit darin, dass sie alle an Jesus Christus glauben.

Klar gibt es auch in solchen bewusst offenen Gemeinschaften nicht alles, denn wir leben nicht in einer perfekten Welt. Manche Unterschiede sind dann wohl einfach zu groß, um dauerhaft miteinander leben zu können. Klar hat auch diese Gemeinschaft deshalb letzten Endes eine, nennen wir es: theologische Grundausrichtung. „Eher orthodox als liberal“ beschreibt es Pastor Fred. Auch hier werden sich nicht alle wohlfühlen trotz der herzlich warmen Willkommenskultur und großen Freundlichkeit und Fröhlichkeit, die wir erleben durften.

Aber völlig unabhängig davon: Diese Herangehensweise an unterschiedliche Überzeugungen hat mich wirklich beeindruckt: Nicht zu versuchen, den oder die andere zu überzeugen, sondern erst einmal zu fragen: Was bringt dich zu deiner Position? Welche Lebensgeschichte steckt dahinter? Was hat dich geprägt? Und dann im Austausch miteinander auch die eigene Geschichte und die eigenen Prägungen zu benennen und zu verstehen.

Diese Herangehensweise würde ich mir öfter wünschen. Nicht nur in der Gemeinde, sondern letztlich überall, wo Menschen zusammenkommen und nicht einer Meinung sind. Wenn wir das alle so tun würden – dann, glaube ich, wären wir dem Reich Gottes schon hier auf der Erde ein ganzes Stück näher.

weitere Blogs

G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?
Wenn man beim Krippenspiel improvisieren muss, kann man bisweilen mit ganz elementaren Fragen konfrontiert werden...