epd: Herr Bischof, was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Gebhard Fürst?
Klaus Krämer: Ich gehöre seit Langem der Diözesanleitung an und habe auch mit Bischof Gebhard Fürst eng zusammengearbeitet. Deswegen überwiegt sicher die Kontinuität. Zumal wir in den vergangenen Jahren auch schon überlegt haben, in welche Richtung neue Entwicklungen gehen müssen.
Die Kirche befindet sich - übrigens wie die gesamte Gesellschaft - in einem großen Transformationsprozess, bei dem wir mit ganz anderen Zahlen umgehen müssen als in der Vergangenheit, mit deutlich weniger Kirchenmitgliedern, mit rückläufigen Finanzen und auch mit weniger hauptamtlichem Personal, das für die Diözese tätig ist. Das allein wird nach außen schon als Zäsur wahrgenommen werden.
Dazu gehört, dass Sie sich von rund 1.000 kirchlichen Immobilien trennen wollen, um Geld zu sparen - Gemeindehäuser, Kindergärten, Pfarrhäuser. Welche Auswirkungen hat das auf das Gemeindeleben?
Krämer: Was wir nicht wollen, ist ein Kahlschlag in den Gemeinden. Wir überlegen sehr genau: Welche Gebäude werden wir in Zukunft brauchen, um pastoral in guter Weise tätig sein zu können? Wenn man sich die Auslastung von vielen Gemeinderäumen anschaut, dann sieht man sehr klar, wo das Sparpotenzial liegt. Wir haben einen hohen Leerstand von gemeindlichen Räumen.
Was wollen Sie damit tun?
"Wir wollen mit anderen Partnern gemeinsam Gebäude nutzen."
Krämer: Wir streben an, mit anderen Partnern gemeinsam Gebäude zu nutzen. Da ist die ökumenische Seite eine Komponente, da sind aber auch die Kommunen ein wichtiger Partner. Vor allem auch Schulen, die Räumlichkeiten brauchen für ihre Angebote. Wichtig ist auch die Kooperation mit den örtlichen Vereinen, insbesondere im ländlichen Raum. Da ist, glaube ich, ein großes Synergiepotenzial.
Als früherer missio-Chef haben Sie die globalen Herausforderungen genauer im Blick. Während wir uns in Deutschland Zukunftssorgen machen, hätten Milliarden ärmere Menschen auf dem Globus gerne unsere Probleme. Sind das schlechte Zeiten für Appelle an unsere internationale Solidarität?
Krämer: Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat glücklicherweise eine lange Tradition von vielen weltkirchlichen Partnerschaften, die sehr lebendig sind. Viele Freiwillige werden dorthin in Projekte entsandt. Aus meiner Erfahrung bei den Hilfswerken weiß ich, dass die Spendenbereitschaft auch der deutschen Katholiken nach wie vor sehr hoch ist und nicht abgenommen hat. Die Menschen wollen wirklich helfen und wollen sich da einbringen.
Haben die Menschen noch Lust aufs Gestalten in einer Kirche, deren Ressourcen knapper werden? Wird man da nicht zum Mangelverwalter?
"Ehrenamt ist anspruchsvoller und anstrengender geworden."
Krämer: In Kürze sind in unserer Diözese Kirchengemeinderatswahlen. Und da haben wir im Vorfeld die Erfahrung gemacht, dass wir in den allermeisten Gemeinden auch wählen können, weil sich genügend Männer und Frauen zur Verfügung stellen. Das war durchaus eine positive Überraschung, weil wir ja wissen, dass es anspruchsvoller und anstrengender geworden ist, sich im Ehrenamt zu engagieren. Deswegen ist es weit mehr als Mangelverwaltung, Dinge können auch gestaltet werden.
In deutschen Bistümern hören wir seit Jahrzehnten Forderungen nach Reformen wie dem Frauenpriestertum. Wie positionieren Sie sich hier?
Krämer: Bei der Beteiligung von Frauen in Führungsämtern in der Kirche stehen wir deutlich besser da als noch vor etlichen Jahren. Die Frage nach der Teilhabe am Weiheamt ist sicher die komplexeste Frage, die wir auch nicht als deutsche Kirche für uns alleine entscheiden können. Da brauchen wir einen Grundkonsens in der Gesamtkirche. Den sehe ich im Moment nicht, aber es entwickelt sich einiges. Wir müssen jedenfalls zu einem Weg finden, der nicht zu einer Spaltung der Kirche führt.
"Diakonat solle für Frauen geöffnet werden."
Was ist hier der nächste Schritt?
Krämer: Die Frage, die sicher als erstes in diesem Kontext ansteht, ist, ob der Diakonat geöffnet werden kann für Frauen. Ich halte diesen Schritt für denkbar und wünschenswert.
Ist die Ehelosigkeit der Priester, der Zölibat, zukunftsfähig?
Krämer: Wir haben Einzelfälle, dass auch verheiratete Männer Priester sind. Diese Einzelfälle könnten ein erster Schritt sein, zu etwas flexibleren Formen zu finden. Letztlich geht es darum, dass wir genügend Priester haben, die das sakramentale Leben in der Kirche aufrechterhalten können. In diesem Jahr werden in unserer Diözese zwei junge Männer zu Priestern geweiht, aber sieben Priester werden im selben Zeitraum in den Ruhestand gehen.
"Es geht in der Pastoral darum, offen zu sein gegenüber allen Gruppen."
Wie sieht es mit der Trauung oder Segnung von Paaren aus, die nicht heterosexuell sind?
Krämer: Wir haben seit einigen Monaten eine Fachstelle für queersensible Pastoral in unserer Diözese. Wir gehen da Wege, auch für diese Gruppe als Kirche da zu sein und sie pastoral zu begleiten. Dazu gehört natürlich auch das Gebet und gehört die Bitte um Gottes Segen. Mir ist es ein großes Anliegen, wirklich niemanden auszugrenzen aus unserer Kirche. Aber man sollte dieses Thema nicht engführen auf die Frage der Trauung. Es geht in der Pastoral darum, offen zu sein gegenüber allen Gruppen.
Weiterhin beschäftigt die Kirche der Umgang mit sexuellem Missbrauch. Da ist ja in der Aufarbeitung und Prävention viel passiert, vergleichsweise früh in Ihrer Diözese. Ist das Thema nun durch?
Krämer: Mein Vorgänger Bischof Fürst hat bereits im Jahr 2002 eine Kommission sexueller Missbrauch geschaffen. Seit über zwanzig Jahren wird in unserer Diözese das Thema Missbrauch strukturiert und konsequent angegangen und so auch die Vertuschung von Taten verhindert. Diesen Weg werde ich weitergehen.
"Beim Thema Missbrauch kann man sehr viel präventiv tun."
Ich fürchte aber, dass dieses Thema nie ganz abgehakt sein wird, weil es auch immer wieder neue Fälle geben wird. Das kann man leider nicht verhindern. Aber man kann doch sehr viel präventiv tun. Dies setzen wir seit 2012 mit unserer Stabsstelle Prävention um. Und auch mit unserer Aufarbeitungskommission habe ich bereits erste Gespräche als Bischof geführt. Sie will ihren Abschlussbericht Anfang 2027 vorlegen.
Wie geht es bei diesem Thema den unbescholtenen Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich für ihre Kirche mühen und gleichzeitig die Prügel für die skandalösen Missbrauchsfälle mit abbekommen?
Krämer: Das ist wirklich eine belastende Situation für alle, die sich mit Kirche identifizieren. Wir müssen da durch. Wir müssen uns der Sache stellen. Als Kirche sind wir eine Solidargemeinschaft. Und daraus kommt auch die Kraft, diese Situationen durchzustehen.
Nimmt die Öffentlichkeit aus Ihrer Sicht angemessen wahr, was Kirche für die Gesellschaft auch leistet?
Krämer: Viele haben einen verengten Blick auf die amtlichen Strukturen, wenn sie von Kirche sprechen. Dagegen werden karitative Angebote, Schul- und Bildungsangebote oft nicht primär als kirchliches Handeln wahrgenommen, auch wenn dies ein ganz wesentlicher Teil unserer Präsenz in der Gesellschaft ist - wodurch wir auch einen großen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leisten.
Wie stellen Sie sich Ökumene vor? Wo ist da noch Luft nach oben?
Krämer: Ich bin für ein sehr gutes ökumenisches Klima dankbar, das wir im Südwesten haben. Die vier christlichen Kirchen in Baden-Württemberg sind auf allen Ebenen in einem sehr guten Kontakt. Aber gerade in den Transformationsprozessen, in denen wir aktuell sind, liegt ein Potenzial für ökumenische Zusammenarbeit, das noch nicht ausgereizt ist - wenn es etwa um Gebäude geht, die wir gemeinsam nutzen können.
"Gerade in den Transformationsprozessen liegt ein Potenzial für ökumenische Zusammenarbeit, das noch nicht ausgereizt ist."
Zudem gibt es pastorale Felder, in denen wir gemeinsam unterwegs sind: Betriebsseelsorge, Krankenhausseelsorge, Telefonseelsorge. Da ist wichtig, dass diese pastoralen Angebote im Sparprozess nicht dem Rotstift zum Opfer fallen, sondern dass wir Kräfte bündeln und Synergien erzeugen.
Seit wenigen Tagen sind Sie auch noch Präsident des internationalen Ministrantinnen- und Ministrantenbundes. Warum nimmt man für diesen Job keinen Ministranten, warum muss ein Bischof das machen?
Krämer: (lacht) ... Die Statuten schreiben es so vor. Die habe nicht ich gemacht. Die Hauptaktion, die durch den Verband gemacht wird, ist die Organisation der großen Ministrantenwallfahrt nach Rom, die alle vier Jahre stattfindet. Bis jetzt war übrigens noch nie ein deutscher Bischof Vorsitzender des Verbandes. Wahrscheinlich hat man mich gefragt, weil ich lange Präsident der Sternsinger war. Die Überlappung zwischen Ministranten und Sternsingern ist ja sehr groß. Auf jeden Fall ist es eine schöne Aufgabe, auf die ich mich sehr freue.