Als langjähriger Twitter-Nutzer, oder eher: Twitter-Bewohner, sehe ich dem Chaos, das ein gewisser Multimilliardär auf meiner Lieblingsplattform angerichtet hat, mit sehr gemischten Gefühlen zu. Ein bisschen Wehmut ist dabei, während ich aus meinem neuen Mastodon-“Heimatdorf“ nach drüben blicke, wo ich 13 Jahre lang Freunde (und Feinde) gefunden habe, diskutiert und gestritten habe. Der Ton ist in den letzten Jahren deutlich rauer geworden, die Diskussionen unversöhnlicher, der Hass teilweise unerträglich, die Fülle an Desinformation erdrückend. Eine wichtige Erfindung im Kampf gegen Fake News war da der „blaue Haken“. Die Bestätigung, dass ein Account wirklich das ist, was er zu sein vorgibt. Eine Politikerin. Ein offizieller Nachrichtenkanal. Eine Person des öffentlichen Lebens. Gründlich geprüft von Twitter. Kurzer Blick auf das Häkchen: Ja, der Post stammt tatsächlich vom Original.
Nun aber können auf einmal alle dieses Häkchen kaufen. Schlappe 8 Dollar im Monat kostet es, zu erblauen. Angeblich ist das dann ja auch ganz klasse, denn zum Bezahlen brauchen die Leute ja eine irgendwie verifizierte Bankverbindung. Wenn das Geld im Kasten klingt, das Häkelchen auf blau schnell springt. Oder so.
Aber ... Twitter wäre nicht Twitter, wenn es nicht auch seinen Spaß mit dem neuen Oberboss hätte. Schon tauchen massenweise US-Präsidenten und andere Größen auf, natürlich verifiziert mit blauem Haken, und geben die seltsamsten Dinge von sich, die wir hier besser nicht wiedergeben wollen. Aber das nur am Rande. Für uns ist nur eines wichtig;
Jesus ist wieder da!
Also, „da“ war er schon lange. Seit Oktober 2006 ist er schon aktiv bei Twitter (@Jesus), aber natürlich dachten alle immer: Haha, lustiger Satire-Account! Doch weit gefehlt: Auch Jesus hat ihn! Den blauen Haken! Und da Elon M. bekanntlich nicht irren kann, können wir uns nun endlich sicher sein, den einzigen, wahren Jesus wiedergefunden zu haben. Auf Twitter. Halleluja!
Spätestens, wenn jetzt noch Twitter irgendwann vollkommen zusammenbricht (was viele Technik-Fachleute nach der Entlassung eines Großteils der Belegschaft für durchaus wahrscheinlich halten) und nach drei Tagen wieder auf die Internetbühne zurückkehrt, werden die letzten erkennen, dass Jesus wirklich wieder da ist. Mit blauem Haken und verifiziertem Bankkonto.
Aber nein, ich muss Sie leider dann doch enttäuschen. Den klassischen uralten Witz müssen wir jetzt an dieser Stelle dann doch mal bringen. Denn: Er kann gar nicht der echte sein. 773.031 Follower hat dieser Jesus. Da kann was nicht stimmen. Der echte hatte doch nur zwölf. Also doch alles nur Fake. Aber mit Haken. Praise the Lord! Halleluja!