Das Abendmahl hatte es schwer in den letzten zwei Jahren. Ehrlich. Lange Zeit haben viele Gemeinden schweren Herzens komplett darauf verzichtet. Mittlerweile haben etliche für den Wein auf sogenannte „Einzelkelche“ umgestellt, was nicht bedeutet, dass nur ein einzelner Kelch auf dem Altar steht, sondern dass alle Teilnehmenden ihr eigenes, einzelnes Trinkgefäß erhalten, aber bitteschön den Impuls unterdrücken sollen, sich damit zuzuprosten (warum eigentlich nicht?). Die Hostien können ja doch ziemlich einfach halbwegs steril mit Pinzetten oder ähnlichen Geräten verteilt werden.
In der österlichen hochinfektiösen Freudenzeit kam ich krankheitsvertretungshalber recht kurzfristig in eine Gemeinde, die für sich eine andere Lösung gefunden hatte. Offensichtlich wollten sie weder die Prost-Lösung einführen noch ganz auf Wein als Teil des Abendmahls verzichten (was auch evangelischerseits theologisch nun kein Problem wäre, auch Abendmahl ausschließlich mit Brot ODER Wein bzw. Saft wäre „gültig“). Hier gab es – Weinhostien. Das ist, denke ich, eine Erklärung wert: Es handelt sich um Hostien, in denen schon beim Backen ein Teil des nötigen Wassers im Teig durch Wein ersetzt wurde. Sozusagen Trockenwein. Was in Franken allerdings ja kein großes Problem ist, hier ist praktisch jeder Wein trocken, allerdings auch nicht so sehr, dass man ihn kauen müsste.
Dem Mesner war offensichtlich bewusst, dass irgendwie doch was fehlt. Er positionierte quasi als Deko den üblichen Weinkelch mit auf den Altar, nur halt leer. Liturgisch war ich mir nicht ganz sicher, ob ich bei den Einsetzungsworten bei „das ist mein Blut“ nun das Kreuzzeichen über den Hostien oder über dem leeren Weinkelch machen sollte. Aber letzten Endes ist das ja auch nur ein Symbol und daher nicht so wichtig.
Zunächst mal – warum eigentlich Wein in die Hostien einbacken? So ganz klar ist mir das nicht. Ist es ein irgendwie magisches Verständnis vom Abendmahl, das zu der Vorstellung führt, dass Wein dabei sein muss, und sei er noch so versteckt? So ähnlich wie ein ehemaliger Kollege, dem es wichtig war, dass der Deckel des Weinkelchs vor den Einsetzungsworten geöffnet wird, als würden die Worte sonst nicht in den Kelch eindringen können? Ja, natürlich, ich kann verstehen, dass Menschen gerade in schwierigen Zeiten nach Möglichkeiten suchen, so nahe wie möglich an ihren bisherigen Traditionen zu bleiben. Und dazu gehört natürlich der Wein beim Abendmahl. Wenn es Menschen tröstet, dass der Wein wenigstens in dieser Form enthalten ist – meinetwegen. Schließt halt Menschen aus, die keinen Alkohol zu sich nehmen können oder wollen. Klarer hätte ich es gefunden, zu betonen: Es geht halt gerade nicht, und trotzdem feiern wir voll gültiges Abendmahl. (Andererseits – was mache ich dann eigentlich als Pfarrer? Lasse ich den zweiten Teil der Einsetzungsworte komplett weg? Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.)
Der richtig schöne Teil kommt aber erst noch: Aus hygienischen Gründen waren die Hostien natürlich auch noch einzeln in kleine Plastiktütchen verpackt. Die üblichen vergoldeten Hostienteller waren ungeeignet für den Packen Plastik, also nahm der Mesner eine Kuchenplatte – passenderweise ebenfalls aus Plastik und noch mit einem Aufkleber in der Mitte, der auf die Herstellerfirma und die besonderen Eigenschaften genau dieser Kuchenplatte hinwies – und drapierte die Weinhostienplastiktütchen fein säuberlich darauf.
Nun ja, andere Gemeinden, andere Sitten, dachte ich mir, da musst du jetzt durch. (Dass die Weinhostienplastiktütchenversandpappbox mit dem Nachschub mitten auf dem Altar stand, habe ich erst während des Gottesdienstes bemerkt, war dann irgendwie auch schon egal.)
Feierlich kommen die Menschen nun zum Abendmahl. Stellen sich, mit gebührendem Abstand, im Kreis auf. Und bekommen alle ihr Plastiktütchen in die Hand gedrückt, übrigens ohne Pinzette, aber mit Maske.
Und dann geht’s los. Die ersten beginnen mit seltsamen Handverrenkungen. Plastik raschelt immer lauter, je mehr ihr Tütchen in die Hand bekommen. Schließlich, als letzter, erhalte ich auch eins – und verzweifle, wie der Rest der Gemeinde, daran, die supersterile Weinhostie aus der sehr engen Plastiktüte zu bekommen. Erst nach einer Weile wird mir klar, dass die Tüte auf einer Seite sogar offen ist, was vermutlich auch jenen Kollegen zufriedengestellt hätte, der auf geöffneten Weinkelchen bestand, ich aber die ganze Zeit versuchte, genau gegenüber durchzubrechen. Aber selbst mit dieser neuen Erkenntnis zur korrekten Herangehensweise bleibt es überaus schwierig, an das Runde im Eckigen heranzukommen, denn das Plastik ist schon sehr knapp bemessen und lässt die Hostie kaum los. (Auf dem Foto der Hostienbäckerei Diakoneo Neuendettelsau werde ich später andere Tüten entdecken, die sogar so einen Zusammendrück-und-zu-Verschluss ähnlich vielen Brot- und Gefriertüten haben, aber entweder wurde das umgestellt oder die Hostien kamen irgendwo anders her.) Endlich, geschafft. Erlösung beim Abendmahl, mal ganz anders. Erleichtert blicke ich in die Runde, einige rascheln noch, die meisten haben es aber mittlerweile geschafft. Einige helfen ihren verzweifelten Nachbar*innen, was nun hygienetechnisch vielleicht nicht das Gelbe vom Ei ist, gemeindeaufbaumäßig wiederum eigentlich eine schöne Sache, ähnlich wie bei diesen amerikanischen Kaffeesahnebechern, die ja in der Werbung auch dafür gepriesen werden, dass sie jenseits aller Hygiene dafür sorgen, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen und sich gegenseitig helfen.
Nun also. Alle haben fertig geraschelt. Alle haben ihr Plastiktütchen in der Hand, stecken es dezent in eine Hosentasche oder schauen mich fragend an, was sie nun damit anfangen sollen. Einen allgemeinen Abfalleimer am Altar gibt es nicht, eine zweite Runde zur Plastiksammlung ist liturgisch nicht vorgesehen (obwohl wir ja dank gemeinsamer Verteilung von Brot und Wein eine eingespart haben) und auch eine Plastikkollekte mittels Klingel- äh, Raschelbeutel erscheint mir nicht sinnvoll. Ich entscheide mich spontan, mich dieses Problems einfach nicht anzunehmen, bin hier ja nur die Vertretung, und spreche einen Segen, nach dem alle wieder brav in ihre Bänke gehen, Tütchen hin oder her.
Nun ja – wie sagt man beim Essen? Es war eine „interessante“ Erfahrung. Wäre ich Gemeindepfarrer hier, ich würde irgendwas anderes bevorzugen, es gibt so viele kreative und auch althergebrachte Ideen. Etwa die, die Hostie mit einer Pinzette zu nehmen, in den Weinkelch zu tunken und die Hostie den Menschen in die Hand zu legen. Oder halt nur Brot. Oder Einzelkelch.
Andererseits – ohne diese „interessante Erfahrung“ hätte ich nie diesen Blogartikel geschrieben. Und wir sind mal wieder um eine Abendmahlsvariante reicher. Christi Leib und Blut, für dich geraschelt!