Geschichtsprojekt holt evangelische Frauen in den Fokus

Gudrun Diestel war 1974 die erste bayerische Theologin, die zur Oberkirchenrätin im Kirchenamt der EKD berufen wurde.
epd-bild/Johannes Minkus
Eine, die sich durchsetzen konnte: Gudrun Diestel war 1974 die erste bayerische Theologin, die zur Oberkirchenrätin im Kirchenamt der EKD berufen wurde.
Frauenstimmen im Archiv
Geschichtsprojekt holt evangelische Frauen in den Fokus
Auf unscheinbaren schwarzen Chipkärtchen sind ihre Biografien, Erlebnisse, Erfolge und Misserfolge erhalten: Das Landeskirchliche Archiv der evangelischen Kirche in Nürnberg verwahrt nun ein Zeitzeuginnen-Projekt, das Frauen aus dem Schatten holt.

Ingrid Malz ist eine von ihnen: Die Frau, die sich in Regensburg für die Kinderaidshilfe einsetzte und in den 1980er Jahren beim Früchteboykott gegen Südafrika teilnahm, hat ihre Geschichte erzählt. Oder Heide Weber aus Hof, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, in der Ausländerinnenarbeit aktiv. Als eine der ersten Dekanatsfrauenbeauftragten sah sie klar, wie viel es in der Kirche für Frauen noch nachzuholen gibt.

42 Interviews mit Frauen, die in der Geschichte der bayerischen evangelischen Kirche bedeutsam waren, hat das Landeskirchliche Archiv (LAELKB) in Nürnberg kürzlich erhalten. Sie wurden von Mitgliedern des Arbeitskreises Frauenkirchengeschichte geführt, sagt dessen Leiterin, Sigrid Schneider-Grube. Die Gespräche stammten aus der Zeit zwischen 2015 und 2024 und folgten einem zuvor festgelegten Fragenkatalog, damit sie vergleichbar sind.

Die Nürnbergerin Friedl Bär (1929-2022) ist zum Beispiel zu Wort gekommen. Als Landessynodale setzte sie sich nicht nur für Frauenarbeit in den Gemeinden ein. Die Germanistin war eine Vorkämpferin für eine Sprache in der Kirche, in der nicht nur Männer vorkommen - heute sagt man dazu gendergerechte Sprache. "Bei Predigten und sonstigen Ansprachen erfordert die frauengerechte Sprache Mühe und Nachdenken. Es wird noch lange dauern, bis Sturheit, Vorurteile und mangelnde Einsicht halbwegs überwunden sind", stellte sie vorausschauend fest.

Helga Taeger hat diese Pionierin interviewt und ist selbst eine, die gegen Ungerechtigkeiten gekämpft hat. Sie war verpflichtet, einen "Pfarrbräutekurs" zu besuchen, weil sie einen Pfarrer heiratete. Nach der Hochzeit sollte sie bitte ihren Beruf aufgeben und ehrenamtlich in der Gemeinde arbeiten. Taeger (Jahrgang 1948) blieb aber weiter in der Erwachsenenbildung tätig. "Ich würde das meiner Frau nie erlauben", habe einmal ein Kollege ihres Mannes zu ihm gesagt, erzählt Taeger und muss vierzig Jahre später über diese Szene lachen.

Fokus auf evangelische Frauen: Gudrun Diestel (m.) mit Hermann von Loewenich (1931-2008)  und Liselotte Nold (1912-1978) auf der Frühjahrssynode 1969 in Bayreuth.

Zu den Erinnerungen der Sozialwissenschaftlerin Schneider-Grube (Jg. 1941), der ersten Frauengleichstellungsbeauftragten der Landeskirche, gehört ein Nachmittag in einem Sitzungssaal im Landeskirchenamt, in dem von den Bildern an den Wänden strenge Kirchenherren auf die Dekanatsfrauenbeauftragten herunterblickten. Weil die Frauen in einem unerhörten Akt des zivilen Ungehorsams diese Bilder für ihre Sitzungszeit mit Porträts von Frauen überklebt hatten, wurde die Kirchenrätin zum damaligen Stellvertreter des Bischofs, Hermann Glaser, zitiert: "Ich sollte das zurücknehmen." Kirche hinke bei der Gleichstellung der Frauen weiter hinterher und dürfe sich nicht wundern, "wenn sich junge Frauen von ihr verabschieden und dorthin gehen, wo sie auch gesehen werden", warnt Schneider-Grube.

Barbara Dietzfelbinger hat fünf der Interviews geführt, ist aber auch eine Zeitzeugin. Sie kann berichten, dass noch in den 1980er Jahren Oberkirchenräte von der Frage "Was wissen Sie vom Feminismus?" völlig überfordert waren und zur Antwort gaben, wie gut sie mit ihren Ehefrauen auskamen. "Zu dieser Zeit gab es in den Kommunen bereits Frauengleichstellungsstellen mit fest angestellten Beschäftigten", stellt die Theologin Dietzfelbinger fest. Die heute 90-Jährige konnte zunächst nicht zur Pfarrerin ordiniert werden. Die erste Frauenordination fand in Bayern erst 1976 statt.

Spannende Quellen über Denken, Handeln und Selbstwahrnehmung

Im virtuellen Lesesaal des Landeskirchlichen Archivs können die etwa halbstündigen Gespräche mit den evangelischen Frauen nachgehört werden, erklärt Alexandra Lutz, die die Einrichtung leitet. "Das sind spannende Quellen über das Denken, Handeln und die Selbstwahrnehmung der Frauen", sagt sie und hält eine der kleinen SD-Karten hoch, die jetzt zum digitalen Langzeitarchiv gehören. "Eine Fundgrube für spätere Arbeiten."

Andrea König, heute zuständig für die kirchliche Frauenarbeit in der bayerischen Landeskirche, hofft aber auch, dass die Interviews über das Archiv hinaus im Internet oder als Podcast lebendig bleiben. "Ich wünsche mir, dass die Arbeit daran weitergeht und die Frauen aus dem Schatten geholt werden", sagt sie.

Dorothee Tröger, im Vorstand des Theologinnenkonvents in Bayern, sieht noch viel Bedarf, "das Bewusstsein für die Bedeutung der Frauen zu wecken". Sie erinnert daran, dass wenige wissen, dass es bereits eine "bayerische Bischöfin" gibt: Als Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck amtiert seit 2019 Beate Hofmann, Pfarrerin aus Bayern.

In den Interviews kommen Pfarrfrauen zu Wort, Pädagoginnen, viele von ihnen Theologinnen, Frauen aus der Diakonie, aus der Eine-Welt-Arbeit, der Kirchenmusik, den Bereichen Spiritualität oder der Menschenrechtsarbeit. Auch die kürzlich verstorbene Theologin und Oberkirchenrätin Gudrun Diestel (1929-2025) konnte befragt werden.

2018 saß Hiltrud von Loewenich (1936-2022), die Frau des ehemaligen Landesbischofs Hermann von Loewenich, vor dem Mikrofon. Sie berichtete aus dem Nähkästchen von Boccia-Turnieren der Oberkirchenräte, aber auch von ihrem Kampf als Frau des Bischofs, berufstätig bleiben zu dürfen. Sie nahm sich ein Zimmer in Nürnberg und arbeitete weiter für das Frauenwerk in Stein, während ihr Mann in München saß. Das Interview mit Hiltrud von Loewenich wird im Landeskirchlichen Archiv im April das "Archivat des Monats", kündigt Alexandra Lutz an.