Kanzeln zu Tischen!

Aktion predigtfreie Gottesdienste
Kanzeln zu Tischen!
Eine Pfarrerin hat eine Kanzel zersägt.

Schwerter zu Pflugscharen! So forderte einst der Prophet Micha und wurde damit zum Symbol der Friedensbewegung. Heute haben wir nicht mehr so wahnsinnig viele Schwerter, höchstens noch welche aus Holz für Kinder auf dem örtlichen Mittelaltermarkt und eher zu Show-Zwecken. Wenn schon Krieg, dann wird heute ganz anders geballert, voller Sorge blicken wir derzeit auf die Ukraine, wo eher wenige Schwerter, aber viel andere Rüstung zusammengeballt wird.

Auch Jesus kam, so die Überlieferung, schon ab vom Micha-Urtext und verwandelte in seinem allerersten Wunder laut Johannes keine Schwerter, sondern Wasser in Wein. Wir bleiben also zumindest irgendwie in landwirtschaftlichen Gefilden und damit bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.

Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein, schon wieder so ein geflügeltes Wort, das gerade wir uns in der evangelischen Kirche sehr zu Herzen genommen haben. Daher gibt es bei uns auch häufiger was auf die Ohren als in den Magen, sprich: Wir predigen zumeist mehr als wir essen in unseren Gottesdiensten, Ausnahmen bestätigen die Regel. Solche Predigten können, insbesondere wenn man sie nach dem Essen genießt, durchaus auch für eine gewisse Müdigkeit sorgen. Irgendwo las ich mal, dass der Predigt-Halbschlaf sogar eine ganz besondere Form der Meditation sei und einer meiner Predigt-Professoren meinte, wir müssten unbedingt bewusst immer wieder Möglichkeiten zum Wiedereinstieg in die Predigt einbauen für die, die mal kurz weggenickt oder gedanklich abgeschweift sind.

Manche allerdings übertreiben es ein wenig mit dem Predigtschlaf. Sie fallen dann aus dem Fenster (Eutychus, Apostelgeschichte 20,9) und werden zum Dank nicht nur aus dem Schlafe, sondern sogar vom Tode erweckt und erhalten eine Erwähnung in der Bibel und in diesem Blog.

Andere fangen an zu schnarchen, selbst schon erlebt, zum Glück nicht bei meiner eigenen Predigt und auch nicht selbst geschnarcht. Umgangssprachlich nennt man das ja durchaus auch mal „Sägen“, obwohl ich damals auf jener unbeschreiblichen Pfarrkonvents-Fahrt doch einen deutlichen Unterschied zwischen meinem laut schnarchenden Zimmer- und Amtskollegen und der im Wechsel mit ihm draußen um Mitternacht (!) lärmenden Kreissäge wahrnehmen konnte. Andere Ländern, andere Sitten offenbar, wer will schon einem Menschen, der sägt, die Säge verbieten.

Nun, jedenfalls: Die Predigt ist nicht alles. Sagen Sie jetzt nicht „aber ohne Predigt ist alles nichts“, denn dann kommen wir hier nicht weiter. Klar geht Gottesdienst ohne Predigt. Warum auch nicht? Vielleicht sogar eher ein gemeinsames Gespräch über den Predigttext oder eine andere Form der Textaneignung. Bibel teilen, Bibliolog oder was auch immer. Die Zeiten des Monologs im Frontalunterricht sind ja eigentlich vorbei. Also – Aktion predigtfreie Gottesdienste!

Kurzerhand nahm Pfarrerin Kathrin Bolt aus St. Gallen also die Säge und zerkleinerte die Kanzel. Nun, ehrlich gesagt, exakt diese Kanzel war schon lange in der Ecke im Kirchgemeindehaus in Lachen gestanden und verstaubt, ein großer Verlust an Wortverkündigung war nicht zu erwarten und auch künstlerisch stand dem Ganzen wohl eher nichts im Wege, zumal es ja gerade um die Teilnahme an der „Motorsägen-Challenge“ des Künstlerduos Patrik und Frank Riklin ging, die Menschen dazu auffordern, „ein Stück Realität auszusägen und es in einen neuen Kontext zu stellen“. Ganz so leicht fiel es Bolt dann allerdings wohl doch nicht, eine Kanzel zu zerstören. Ja, Veränderung ist immer mühsam, manchmal auch zerstörerisch, und oft müssen wir innere Widerstände überwinden.

Trotzdem: Ein Tisch sollte es werden, gewissermaßen ein Kanzeltisch. Dort finden nun im Februar die „predigtfreien Gottesdienste“ unter dem Motto „vom Monolog zur Tischgemeinschaft“ statt, womit wir übrigens wieder bei dem Amos-Prinzip des „von ... zu“ wären. Auf Augenhöhe diskutieren statt von oben herab predigen: Tolle Idee und ganz im Sinn der Künstler, meine ich. Ein Stück Realität ausgesägt und in einen neuen Kontext gestellt. Vom Predigtschlaf zur lebhaften Diskussion.

Etwas irritiert hat mich der Satz: „Das Projekt wird schon zum zweiten Mal durchgeführt“. Vermutlich war damit nicht gemeint, dass die Kanzel zum zweiten Mal zersägt wurde. Manche Dinge sollten besser einmalig bleiben. Sonst gehen uns irgendwann doch noch die Kanzeln aus. Und um manche wäre es dann schon allein aus kunsthistorischen Gründen doch sehr schade.

Ich wünsche Ihnen wahlweise anregende Predigten, eine gute Diskussion oder einen geruhsamen Schlaf. Schließlich, um auch nochmal mit einem biblischen Bonmot zu enden: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.

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