Klima oder Seelenheil?

weltweite Klimaproteste
Klima oder Seelenheil?
Auch heute haben sich die Kirchen an vielen Orten solidarisch mit den Protestierenden gezeigt. Dürfen die das?

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Weit über eine halbe Million Menschen sind alleine in Deutschland heute für wirksamere Klimaschutzmaßnahmen auf die Straße gegangen. Vielerorts waren Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen ganz vorne mit dabei. Haben mit dazu aufgerufen, haben mit protestiert, haben sich mit Bannern, Redebeiträgen und auf vielfältige andere Weise beteiligt.

Immer wieder mal höre ich: „Die Kirche soll sich gefälligst aufs Seelenheil beschränken und sich nicht in die Politik einmischen!“ Nun ja: Das kommt natürlich normalerweise von den Menschen, denen die dahinter vermutete politische Haltung nicht gefällt.

Ich muss Sie jetzt leider sehr enttäuschen: Das Konzept einer unsterblichen „Seele“, die nach dem Tod den Körper verlässt, ist der Bibel unbekannt. Was wir als „Seele“ übersetzen, meint eigentlich den Menschen in seiner Gesamtheit. Körper, Geist und, na ja, Seele. „Lobe den Herrn, meine Seele“ – der bekannte Psalm 103 meint: Lobe Gott mit allem, was du hast.

Als Christinnen und Christen sind wir nicht dazu aufgerufen, uns ausschließlich um irgend ein wie auch immer verstandenes Seelenheil zu kümmern. Sondern um den Menschen als Ganzes. Und um Gottes Schöpfung sowieso, die wir bebauen und bewahren sollen. Siehe Schöpfungsgeschichte. Kennen Sie vielleicht.

Oder nehmen wir die biblischen Propheten. Auch die haben immer wieder „Recht und Gerechtigkeit“ eingefordert. Haben sich für Fremdlinge, Witwen und Waisen eingesetzt – die „Randgruppen“ der damaligen Zeit. Haben von Gott ausgerichtet: Solange ihr nicht für mehr Gerechtigkeit sorgt, könnt ihr eure ganzen Gottesdienste komplett vergessen! (eine recht freie Übersetzung von Amos 5, aber lesen Sie doch da mal nach!)

Und dann wären da noch die Seligpreisungen Jesu. Matthäus 5. „Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“. Und die ganzen anderen. Auch die: Wirklich lesenswert. Mal ganz zu schweigen von Gleichnissen wie dem vom barmherzigen Samariter, der sich natürlich nicht neben den armen ausgeraubten Mann setzte und mit ihm betete, sondern für sein ganz körperliches Heil sorgte.

Nein, tut mir Leid: Ich kann mich als Pfarrer nicht nur am Sonntag auf der Kanzel ums Seelenheil kümmern. Das ganze Leben der Menschen, die ganze Schöpfung, Recht und Gerechtigkeit: Das alles ist unsere Aufgabe.

Und alle, wirklich alle seriösen Klimamodelle sagen für unsere Erde Zustände voraus, die für viele Menschen lebensbedrohlich sein werden. Von „Bewahren“ sind wir leider sehr weit entfernt. Das ist keine Parteipolitik – das ist der reale Zustand unserer Erde. Der Schöpfung, wie wir sie als Christinnen und Christen gerne nennen. Da können Sie jetzt auf Social Media so viele Lachsmileys setzen wie Sie wollen. Es wird Zeit, diese Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ernst zu nehmen und sich für die Rettung des Klimas einzusetzen. Gut, sagen wir lieber: Für die Rettung dessen, was noch möglich ist. Über den richtigen Weg dahin können wir dann durchaus politisch streiten, die Scientists for future wären da sicherlich gute Ansprechpartner.

In der hebräischen Bibel gibt es ein Wort, das das große Ziel beschreibt. Die Versöhnung von Mensch, Natur und Gott. Es heißt: Schalom. Frieden, aber in einem sehr umfassenden Sinn. Wirklich endgültigen „Schalom“ wird es wohl erst bei Gott geben. Dennoch: Dafür sollen wir arbeiten. Dafür können und müssen wir auch mit auf die Straße gehen. Für die Zukunft der Menschheit. For future.

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