Abendmahlsstempel

Abendmahlsstempel
Ein alter Stempel wirft Fragen auf.

Ganz ehrlich: Ich mag Stempel. Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe davon. Einen für jeden der vielen Bereiche, für die ich arbeite, um Rechnungen zuzuordnen. Einen „sachlich richtig“. Drei Adress-Stempel, einen Datumsstempel, einen Eingangsstempel fürs Schulreferat. Manchmal muss ich 20 und mehr Formulare mit jeweils zwei Stempeln, drei angekreuzten Feldern und meiner Unterschrift versehen, das geht schon sehr flüssig. Und wenn ich einen bestimmten Text immer und immer wieder schreiben muss (z.B. „Fahrtkosten zahlt ...“), überlege ich ernsthaft, mir dafür einen Stempel anzulegen (in diesem Fall kommt‘s mir allerdings auch irgendwie komisch vor, obwohl es eigentlich sinnvoll wäre.) Selbst, wenn es länger dauert, das Stempelkissen auf den reichlich papierüberfluteten Schreibtisch zu finden, als den Text von Hand hinzuschreiben. Andere spielen mit irgendwelchen Gegenständen beim Telefonieren – ich stemple in der Zeit gelbe Klebezettel voll.

Kollege Björn Borrmann von St. Nikolai Spandau hat nun allerdings ein besonders schönes Exemplar ausgegraben, dessen eingravierter Text sehr rätselhaft anmutet. „Diese Bescheinigung gilt nur, wenn Sie zum Abendmahl zugelassen sind.“

Was will uns wohl der Stempler dieser Zeilen damit sagen? Auf was für eine Bescheinigung könnte ein derartiger Stempel passen? Also, ich würde sie ja einfach auf alles stempeln, was es so gibt. Nicht nur auf gelbe Klebezettel. Auf den Steuerbescheid: Nur gültig mit Zulassung zum Abendmahl (was, wenn Steuerpflichtige nachzahlen müssen, zu einem merkwürdigen Run auf die gute alte Kirchenzucht samt Ausschluss vom Abendmahl führen könnte.) Führerschein: Nur gültig mit Abendmahl. („Ihre Papiere bitte, Führerschein, Fahrzeugschein, Taufschein!“) Kassenzettel beim Einkaufen: Nur gültig mit Abendmahl. Bahn- oder Flugticket. Urlaubsbuchung. Vielleicht war dieser Stempel ja ein Versuch, Menschen zum Wiedereintritt in die Kirche zu bewegen?

Stempel "Nur gültig, wenn Sie zum Abendmahl zugelassen sind"
Nein, das ist natürlich alles völliger Käse, und Käse gibt‘s beim Abendmahl bekanntlich nicht. Bleiben wir lieber im kirchlichen Bereich, denn da wird der Stempel ja wohl hingehören. Ich selbst als Schulreferent unseres Dekanates stemple Unmengen von Anträgen auf Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht von Schülerinnen und Schülern, die gar nicht evangelisch sind. Nein, da macht das keinen Sinn – die sind ja meistens bekenntnislos und damit sowieso nicht zugelassen. Vielleicht die Vocatio, die „kirchliche Lehrerlaubnis“ für staatliche Lehrkräfte? Schon sinnvoller, aber wohl eher nicht in einem normalen Pfarramt zu finden. 

Die wirkliche Erklärung wird wohl sehr, sehr bürokratisch sein. Entweder wurden damit Wahlausweise für eine Kirchenvorstandswahl gestempelt oder aber – das scheint mir das wahrscheinlichste zu sein – Patenbescheinigungen. Diese bescheinigen angehenden Patinnen und Paten, die nicht in der eigenen Gemeinde das Patenamt antreten, dass sie Mitglied ihrer Kirchengemeinde sind – und zum Abendmahl zugelassen sind. Denn das ist die Voraussetzung für die Übernahme des Patenamts. Da nun aber der Gemeindepfarrer (ich nehme stark an, der Stempel stammt aus jener längst vergangenen kargen pfarrerinnenlosen Zeit) gar nicht sicher wissen kann, ob nicht irgend etwas vorliegt, hat er wohl zu diesem Stempel gegriffen. „Ich bescheinige Ihnen das jetzt, aber ob die Bescheinigung gültig ist, müssen Sie letzten Endes schon selber wissen.“ Hm. Dann könnte man auf die Bescheinigung allerdings auch gleich verzichten und den Menschen einfach vertrauen, wenn sie sagen: Ich bin Mitglied der Kirche. Nun ja, jedem das Seine. Also, stempeln Sie nicht zu viel und gehen Sie lieber mal wieder zum Abendmahl.

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