Papierloser Gottesdienst

Papierloser Gottesdienst

Es ist nun schon eine ganze Weile her, dass ich meinen ersten Gottesdienstablauf auf dem Kindle gespeichert hatte und mit diesem kleinen, lederumhüllten Teil am Altar und auf der Kanzel stand. Ich berichtete damals darüber, war mir noch nicht hundertprozentig sicher, ob ich das wirklich immer so machen werde. Kurz gesagt: Ja. Es gab seitdem keinen einzigen Gottesdienst mehr, den ich ausgedruckt hätte – mal abgesehen von ein, zwei ökumenischen, wo ich dem Partner doch nicht zumuten wollte, mit mir in meinen Kindle zu gucken.

Ein großer Nachteil blieb aber die ganze Zeit: Das Ding ist doch arg klein. Für Text perfekt – aber die gesungenen liturgischen Stücke, derer wir in Bayern doch so einige haben, sind nicht so ganz zufriedenstellend darstellbar auf so einem kleinen Ding. Zum Glück kann ich die sowieso alle weitgehend auswendig und brauche nur hin und wieder eine kleine Gedächtnisstütze.

Nun aber hielt geburtstagsbedingt der technische Fortschritt Einzug im Hause Kuschel. Und wenn schon, dann natürlich das allerneueste, größte, stärkste, schönste (ach nein, das war Ritter Rost, falscher Film), googeligste, was es gerade gibt. Ein Nexus 10. Schönes, großes Display. Natürlich wieder eine (Kunst-)Lederhülle dazu. Durchaus brauchbar als Gottesdienst-„Mappe“. Oder wirkt das Ding doch zu technisiert? Bei dem kleinen Kindle war das für mich nicht so sehr die Frage. Dieses relativ große Teil ist doch etwas deutlicher „Technik“, selbst in einer Lederhülle. Lenkt das die Leute ab? Das soll es nämlich nicht. Aber gerade von den Senioren kam ein „technischer Fortschritt, ist doch logisch“. Also einfach mal ausprobieren. In einer derzeit vakanten Gemeinde, die sind doch über jeden Pfarrer froh, der kommt. Selbst wenn er einen Technik-Spleen hat.

Also: Die alte Kindle-Dokumentvorlage (kleiner schwarzer Rand, zwecks Größenbeibehaltung!) von mickrigen 9x11,2cm angepasst auf hypersuperprotziggroße 13,5x20,5cm. Alle Texte reinkopiert, inklusive Liedtexten. Liturgische Stücke aus dem Evangelischen Gesangbuch elektronisch, gar kein Thema. Teilweise auch aus der PDF-Version unserer bayerischen Liturgie.

Google Nexus 10 im Einsatz als Gottesdienst-Mappe, Martin-Luther-Haus Niederwerrn
Nun gab es natürlich noch ein paar technische Dinge zu klären. Welches Programm zeigt mir das wirklich gut und zuverlässig an? Ich stellte fest: Viele Apps blättern für meine Begriffe „falsch“ um. Da muss man, wenn man dein Hochkant-Dokument hat, nach unten wischen, um zur nächsten Seite zu gelangen. Eigentlich gar nicht verkehrt, denn man kann übergangslos weiterlesen wie in einem Endlospapier. Doch wie stark wischen, damit nicht gleich zwei Seiten übersprungen werden? Das war mir zu gefährlich. Von den Apps, die ich probiert habe, blieben als „Seitenwischer“ lediglich die Amazon Kindle-App und Office Suite pro übrig, die für mich das Rennen machte. Die Kindle App brauchte gelegentlich mehrere Sekunden zum Umblättern, was dann doch nicht so wirklich hilfreich war. Office Suite dagegen: Perfekt. Zeigte mir sogar am linken Rand (einklappbar) eine Art Inhaltsverzeichnis aller Überschriften an, die ich gesetzt hatte. (nicht ganz einheitlich, was aber daran lag, dass ich für meinen Privatgebrauch nicht ganz konsequent immer die gleichen Überschriftsebenen verwendet hatte). Super – noch eine Angst weg: Wenn ich mich mal verblättere, finde ich auf diese Weise sofort wieder die richtige Stelle. Ganz abgesehen davon, dass ich auch die Fragen des Organisten und des Lektors zum Ablauf schnell beantworten konnte. Ja, das ist nahezu perfekt.

Nun noch ein paar technische Kleinigkeiten: Das automatische Drehen des Bildschirms abgeschaltet. Display-Ruhezustand auf 30 Minuten Wartezeit eingestellt. Unter „Sicherheit“ die Display-Sperre auf „Finger bewegen“ zurückgestellt, so dass ich kein Muster zeichnen, eine Pin eingeben oder sonstwas musste, sondern nur einmal kurz über den Bildschirm wischen, um die Anzeige wieder zu aktivieren. Das PDF in der Dropbox als „Favorit“ markiert, damit es auch ohne Internetzugang sicher auf dem Nexus vorhanden ist. Getestet, ob ich nicht auch gleichzeitig noch die Predigt mit diesem Gerät aufnehmen kann statt mit dem Handy. (Ja, es geht. Allerdings verschwindet Office Suite immer aus der Liste der aktiven Apps, sobald sie nicht gebraucht wird. Also nach dem Starten der Aufnahme das PDF wieder neu aufrufen. Ging aber ausgezeichnet.)

Ein klein wenig aufgeregt war ich schon vor dem Gottesdienst. Aber was soll ich sagen: Es lief hervorragend. Alles da, wo es sein sollte. Introitus perfekt lesbar. Alles super einsortiert. Aufnahme geklappt. Viele positive Rückmeldungen zur Predigt. So soll es sein, so kann es bleiben. Mach ich wieder so.

Drei ältere Gemeindeglieder, die nach dem Gottesdienst noch herumstanden, habe ich gefragt, ob sie die Technik überhaupt bemerkt haben. Explizit habe ich auch danach gefragt, ob es sie in irgend einer Weise abgelenkt hat, was sie alle verneinten. Hier ihre Reaktionen:

  • Also, ich habs nicht gesehen. Aber warum nicht Technik nutzen? Ob Papier oder Elektronik, das ist doch egal.
  • Sie sind doch auch bisher schon immer mit so einem elektronischen Teil gekommen. Ach so, das war kleiner. Na, dann ist das hier doch besser. Ja, ist doch in Ordnung, warum sollten Sie das nicht nutzen.
  • Ich hab's nur gesehen, als Sie in der Bank saßen und geblättert haben. Aber mich stört das nicht.

Sage noch einer, die Senioren wären fortschrittsfeindlich. Also dann, bis zum nächsten Nexus-Gottesdienst!

Google Nexus 10 im Einsatz als Gottesdienst-Mappe, Martin-Luther-Haus Niederwerrn
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