Gott wohnt mitten unter uns

Gott wohnt mitten unter uns

Seit langer Zeit beobachte ich auf Twitter alle Tweets, die das Wort „Kirche“ enthalten (allerdings ohne die, die gleichzeitig „im Dorf“ oder „Ameisen“ beinhalten, aber das nur am Rande.)

Seit nunmehr über einer Woche rappelt es in dieser TweetDeck-Spalte regelmäßig. Immer wieder verlinken Menschen diesen ZEIT-Artikel von Friederike Gräff: „Ist Gott noch Mitglied der evangelischen Kirche?“ Auch mein Blog-Kollege Christian Spließ hat darauf schon geantwortet, und vieles, was er schreibt, kann ich so unterschreiben. Trotzdem möchte ich gerne auch nochmal meine eigenen Gedanken dazu beitragen.

Liebe Frau Gräff, ja, offensichtlich haben Sie einen Nerv getroffen. Das ist ganz deutlich. So viele Links auf Twitter, derzeit 361 Kommentare auf der Website – ich glaube, das ist auch für die ZEIT durchaus ein beachtlicher Wert.

####LINKS####Und ja, natürlich haben Sie Recht. Natürlich sind wir oft zu zaghaft, oft zu bürgerlich, oft zu wenig überzeugt. Beim Beispiel „für gerechten Handel ist doch heute jeder, also auch die Kirche“ fragte ich mich, ob es nicht möglicherweise auch umgekehrt sein könnte: Brot für die Welt (und das katholische Misereor) gibt es schon über 50 Jahre. Ungefähr 1984 war ich als Jugendlicher in unserer damaligen Gemeinde beteiligt an der Gründung eines Vereins für fairen Handel, stand damals schon regelmäßig nach dem Gottesdienst da, war stolz, wenn ich mal zwei Packungen fairen Kaffee verkaufen konnte (der heute zum Glück viel besser schmeckt als damals.) Vielleicht haben wir da auch umgekehrt die Gesellschaft geprägt mit unseren Fragen und unserer Kritik? Aber das nur nebenbei, denn der grundsätzliche Vorwurf bleibt ja, dass wir zu wenig wahrnehmbar seien.

Ja, manchmal wünschte ich mir auch eine superfantastische, in allen Punkten überzeugende, von tiefem Glauben geprägte Kirche, die gleichzeitig für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung eintritt, die Armen speist und deren Pfarrerinnen und Pfarrer ihre wöchentlich 80 Arbeitsstunden ehrenamtlich leisten und in Armut leben. Aber leider – oder zum Glück? - so sind wir nicht. Wir sind alle miteinander Menschen, die ihre Stärken und Schwächen haben. Menschen, die mitten in der Welt leben, die genauso ihre Zweifel haben wie alle anderen. Und wir sind als evangelische Kirche(n) anders organisiert als die katholische Kirche. Jeder evangelische Christ, jede evangelische Christin ist erst einmal dem eigenen Gewissen verpflichtet. Da kommen durchaus unterschiedliche Interpretationen eines Sachverhalts heraus, auch gegensätzliche. Wie könnten wir da in der Öffentlichkeit mit einer Stimme sprechen? Das ist fast unmöglich, nahezu ein Wunder, dass es doch ab und zu vorkommt.

In den Augen der Öffentlichkeit sind wir vermutlich tatsächlich oft eine Versagerkirche. Aber genau das ist es, was mir diese Kirche so sympathisch macht. Wir wissen, dass wir immer wieder versagen, den Anforderungen nicht entsprechen. Jesus war übrigens auch so einer. Der ist sogar als Verbrecher hingerichtet worden, der Versager. Könnte man sagen.

Ich sehe, was alles im Stillen geschieht. Ich erlebe Gespräche nach dem Gottesdienst. Ich erlebe intensive Gebete in kleinen Runden. Tröstende Gespräche am Krankenbett. Ich erlebe, wie erwachsene Menschen sich auf den Weg zur Taufe machen. Wie sie nach Glaubensdingen fragen, wie wir gemeinsam nach neuen Worten für das suchen, was wir glauben, weil die alten Worte für uns alle nur noch leere Hüllen sind, Phrasen.

Ja, das passiert alles im Kleinen, im Verborgenen. Mag sein, dass das nicht so viel hermacht wie eine Superpower-Megakirche in den Vereinigten Staaten, Hallelujah praise the Lord. Trotzdem liebe ich diese Kirche. Ich glaube: Es gehört viel Mut dazu, den eigenen Glauben so sehr immer wieder neu in Frage zu stellen. Es gehört Mut dazu, mitten in der Welt zu leben – und immer wieder neue Antworten im Glauben zu suchen. Auch auf die Gefahr hin, mal keine zu finden, zu versagen. Es gehört Mut dazu, mitten in diesem unübersichtlichen und oft auch unattraktiven Protestantismus darauf zu vertrauen, dass Gott nicht „nur“ Mitglied ist, sondern mitten unter uns wohnt.

Ich jedenfalls vertraue darauf, dass Gott mit mir kleinem Pfarrer trotz aller Schwächen und Fehler etwas anfangen kann. Und erlebe das auch immer wieder.

Oder wie Paulus im 1. Korintherbrief schreibt: "Lass dir an meiner (Gottes) Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. 10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

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