Ja, Gott ist bei uns noch Mitglied - gerade auch jetzt

Ja, Gott ist bei uns noch Mitglied - gerade auch jetzt

Leisetreter. Prinzip-Merkel-Vertreter. Bürgerliche-Mitte-Verwalter. Nicht-Abschrecker. Vier Dinge, die Friederike Gräff in der ZEIT der evangelischen Kirche vorwirft. Uns vorwirft. Wir seien als Protestanten zu leise, zu sehr auf den Ausgleich bemüht, könnten unsere Themen nicht deutlich machen und den Freikirchen gegenüber seien wir im Nachteil. Es gäbe - so fasst der Artikel es zusammen - eine evantelische Kirche, die es allen recht machen möchte, darüber aber ihr Profil verloren habe.

####LINKS#### Nun kann man darüber trefflich streiten, vor allem über die Argumentation, die fast die Hälfte des Artikels bestreitet - besteht diese doch aus den eigenen Erfahrungen der Autorin in der Jugendzeit. Dass jeder seinen eigenen Weg zum Glauben findet und mancher durch Pfarrer auch davon abgehalten werden ist nun nichts, was es nicht in der katholischen Kirche auch geben würde - auch dort findet sich mancher Verkündiger des Wortes Gottes der nicht den inspirierenden Funken in sich trägt oder bei der Berufung das ung verlor und nur noch den Beruf an sich sieht. Und dass dieser nicht immer inspirierend ist - vor allem dann nicht wenn die örtlichen Presbyter nicht gerade von der Art sind mit denen man aus Sicht des Pfarrers arbeiten kann (und umgekehrt) - das kommt halt vor.

Vielleicht hätte die Autorin auch mal Pfarrer und Pfarrerinnen der evangelischen Kirche näher kennen lernen sollen und sich nicht nur auf das Hörensagen von anderen verlassen. Vielleicht hätte sie dann festgestellt, dass es auch bei uns solche und solche gibt, dass die Kirche von Menschen getragen wird - und das hat sie immerhin festgestellt - weswegen die Kirche nur genau so gut und genau so schlecht sein kann wie die Menschen in ihr. Und diese haben ab und an halt schlechte Tage, verreißen eine Predigt oder sind in ihren Routinen halt eingefahren. Aber das so ist anzunehmen gibt es in der katholischen Kirche nun auch und vielleicht hätte die Autorin mal evangelische Mönche befragen sollen - ja, die gibts tatsächlich ebenso.

Sicherlich ist nicht alles gut bei uns. Sicherlich hat die Autorin recht wenn sie Tarifverträge, Kapitalismus und Pränataldiagnostik anspricht. Und ja, es ist ein Unding wenn wir als Kirche unsere Mitarbeiter nicht genügend bezahlen, wenn wir Pfründe anhäufen obwohl Jesus das nicht gutheißt und wenn wir was das Leben vor der Geburt anbelangt uns nicht so vehement zu Wort melden wie die katholischen Schwestern und Brüder. Wobei - so einheitlich ist die katholische Kirche nun auch nicht oder wie war das mit Donum Vitae? Anderes Thema? Wirklich?
Andererseits: So mangelhaft wie wir Protestanten in den Augen der Autorin auch sein mögen, so sehr wissen wir aber auch dass wir selbst - und zwar wir alle in den Gemeinden - diese Mängel nach und nach beseitigen können. Dass wir Kritik annehmen und dass wir versuchen unser Möglichstes und Bestes zu tun um unseren Glauben zu leben. Und das kann anders aussehen als die Autorin das gerne haben möchte.

Ja, natürlich: Wenn wir erlöster aussehen würden, könnten wir natürlich auch deutlicher unseren Glauben als Frohe Botschaft veständlich machen. Keine Frage. Aber der Glaube manifestiert sich halt nicht immer in feurigen Gesten, in flammenden Missionsbotschaften - das Verständnis der evangelischen Kirche beruht auf dem, was Martin Luther entdeckte. Das alleine ist der Grund. Mag sein, dass wir uns vor den unangenehmen Bibelstellen drücken - mag sein, dass wir ab und an zu leise auftreten - mag auch sein, dass die Protestanten nicht so viel über Gott und Jesus in der Öffentlichkeit reden wie Frau Gräff das gerne hätte. Ja, auch an der Willkommenskultur könnte man etwas arbeiten und Zielgruppenarbeit ist auch etwas, was bisweilen brachliegt. Aber: Gott und Jesus, Frau Gräff, kommen in jedem Gottesdienst der evangelischen Kirche vor. In jedem Text. In jedem gesungenen Lied. In jedem Glaubensbekenntnis. Mag sein nicht unbedingt in jeder Predigt, aber ja, Gott ist mit Sicherheit noch anwesend mitten unter uns. Nur halt nicht unbedingt so wie man es sich generell wünscht - also so als Mensch. Oder besser formuliert: So wie man es als Mensch nun mal gerne hätte. Diesen Gefallen macht Gott uns nun nicht, dass er sich so verbiegen lässt wie man es für richtig hält. Wäre ja furchtbar, da könnte man ja gar nicht mehr protestieren... Aber das, das liegt ja nun an jedem Einzelnen wie er den Glauben weiterträgt. Das ist ja das paradoxe bei uns: Dass der evangelische Christ zur Freiheit berufen, aber zugleich an Jesus Christus gebunden ist. Luther schrieb dazu mal was. Könnte man mal lesen.

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