Ewiges Leben. Wenigstens auf Twitter.

Ewiges Leben. Wenigstens auf Twitter.

Ewiges Leben: Die große Hoffnung aller Christen und auch vieler Anhänger anderer Glaubensrichtungen. Irgendwie wird es weitergehen nach dem Tod, davon sind viele überzeugt.

Stellen Sie sich vor: Da sitzen Sie dann als Engelein harfespielend irgendwo auf einer Wolke – und unten auf der Erde wird munter weitergetwittert. Ganz ohne Sie! Dabei sind Sie doch der große Influencer. Mit einem Klout-Score von 108. Nein, ohne Ihre weltbewegenden Nachrichten – die letzte lautete übrigens: „Oh, die Ampel war ja rot!“ - kann dieses fantastische Netzwerk nicht wirklich weiterexistieren. Es würde etwas ganz Entscheidendes fehlen.

####LINKS####Nun endlich ist Rettung in Sicht: Ein neuer Service namens „liveson“ übernimmt Ihren Twitter-Account! Und das nicht mit irgendwelchen Standardnachrichten, nein: Sie sind es, die den Algorithmus erst einmal anlernen, ihm zeigen, was Sie interessiert, ihm Ihre sprachlichen Besonderheiten antrainieren und so weiter. Ja, nach einer gewissen Einlernphase werden Sie eigentlich überhaupt nicht mehr gebraucht. Ihr alter Twitterego schreibt für Sie, als wäre nichts geschehen! (oder was meinen Sie, wer „Oh, die Ampel war ja rot!“ getwittert hat, als Sie doch schon vor einer Minute das Zeitliche gesegnet hatten?)

Endlich: Unsterblichkeit für alle, ganz weltlich, hier auf dieser Erde! Oder zumindest virtuell irgendwo im Netz, Nicht nur unsere Seele ist unsterblich, nein: Nun auch noch unser – hm – Denkalgorithmus? Ach, egal. Hautpsache, die Show goes on und Sie verlieren keine Follower. (Nein, den Witz mit Jesus und den zwölf Followern brauchen Sie im Himmel nicht zu bringen, den hat Jesus jetzt schon dreißigtausendmal gehört)

Ein bisschen müssen Sie aber noch durchhalten, denn der Dienst startet erst im März. Und anlernen müssen Sie ihn ja auch noch. Aber dann dürfen Sie beruhigt jede rote Ampel übersehen. Fahre hin in Frieden.

Fragt sich – wie wird das in hundert Jahren aussehen? Wird es dann überhaupt noch echte Twitterer geben? Oder wird Twitter ein Netzwerk von untoten Algorithmen sein, die sich gegenseitig am Leben erhalten, in einer Sprache, wie sie vor hundert Jahren gesprochen wurde? Ein gefundenes Fressen für Geschichtsforscher. Und Ahnenforscher. „Guck mal, Ururopa hat aus dem Büro getwittert!“ Vielleicht kommt ja eines Tages dann doch der erlösende Tweet, den berühmten C-3PO zitierend: „Du meine Güte, schalt mich ab!“ (Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger)

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