Leben wie der Heilige Geist in Frankreich

Leben wie der Heilige Geist in Frankreich

Lena Meyer-Landrut war da. Der Papst auch. Und vermutlich mittlerweile Hunderttausende von Jugendlichen aus der ganzen Welt: Taizé. Ein kleiner Hügel in Burgund in Frankreich. Nichts Besonderes eigentlich. Wäre da nicht Roger Louis Schutz-Marsauche gewesen, reformierter Pfarrerssohn aus der Schweiz, zeitweise aufgewachsen bei einer katholischen Witwe, studierter (evangelischer) Theologe. Im Zweiten Weltkrieg versteckte er Flüchtlinge vor den Nationalsozialisten, hier in Taizé. Und nach dem Krieg, 1949, gründete er die Communauté de Taizé, eine ökumenische Brüdergemeinschaft, die sich gelobte, in Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam zu leben. Versöhnung war ihr Ziel. Versöhnung der Völker und Versöhnung der Konfessionen.

Irgendwann fingen die Brüder an, Jugendliche zu sich einzuladen, die eine, zwei, manchmal auch drei Wochen oder länger mit ihnen leben sollten, gemeinsam beten, mitarbeiten, über Glaubensfragen diskutieren.

Inzwischen kommen im Sommer jede Woche bis zu 6000 Menschen, die von Sonntag bis Sonntag bleiben. Übernachten in einfachsten Unterkünften, Zelten, wo auch immer. Duschen kalt, in ungeheizten Räumen. Gehen dreimal am Tag zum Gebet in die Versöhnungskirche. Singen die eingängigen Melodien der Gesänge von Taizé. Begügen sich mit einfachstem Essen, spülen ab, putzen, helfen, wo sie eben eingeteilt wurden. Und kommen oft sehr inspiriert wieder zurück von dieser einen Woche.

Es ist schon lange her, dass ich dort war. Zwanzig Jahre? Könnte hinkommen. Was mich damals am meisten fasziniert hat, das war die selbstverständliche Internationalität der Menschen. Ein Sprachendurcheinander war das, wie ich es nirgends sonst bisher erlebt habe. In kleinen Gesprächsgruppen zu etwa 10 Jugendlichen wurden wir eingeteilt.

Besonders an eine Gruppe erinnere ich mich noch sehr gut. Da war eine Polin, ein Mädchen aus Tirol, ein paar Belgier, Spanier und ich als einziger Deutscher. Eine konnte kein Englisch, einer kein Deutsch – so mussten wir alles simultan übersetzen, was die armen Belgier, die beide Sprachen etwa gleich gut konnten, manchmal wirklich zur Verzweiflung brachte. Der eine fragte einmal ganz verzweifelt: „In welcher Sprache habe ich angefangen?“

Mit der Polin aus dieser Gruppe freundete ich mich etwas näher an, unterhielt mich viel mit ihr. Nur: Sie konnte kein Deutsch, ich kein Polnisch. Sie war ziemlich gut in Französisch, Englisch verstand sie so halbwegs. Bei mir war es andersrum: Ziemlich gutes Englisch, ein wenig Französisch. Irgenwann vereinbarten wir: Sie spricht Französisch, ich Englisch. Schon mal eine zweisprachige Unterhaltung miterlebt? Das ist ein wirklich merkwürdiges Erlebnis...

Dieses Sprachenwirrwarr auf dem Hügel von Taizé: Das war für mich das eindrücklichste Pfingsterlebnis meines Lebens. Immer wieder musste ich an diese Geschichte denken, wie die Menschen die Predigt des Paulus in ihrer je eigenen Sprache verstanden. So ungefähr war es auch hier: Unterschiedliche Sprachen waren keine Grenze an diesem Ort. Das machte überhaupt nichts aus. Und wenn man keine gemeinsame Sprache hatte, erfand man eben irgendwelches Kauderwelsch. Versöhnung, nicht nur der Konfessionen und der Völker, sondern auch der Sprachen: Das findet hier statt, auf diesem unscheinbaren Hügel direkt neben dem winzigen Örtchen Taizé irgendwo in Frankreich. Pfingsten: Hier geschieht es. Hier weht der Geist Gottes. Der Geist der Versöhnung.

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