Als Kind habe ich an zig Krippenspielen mitgewirkt. Und zwar ausnahmslos und immer als Maria. Das lag nicht nur daran, dass ich rein optisch hervorragend gepasst habe (wie man fand), sondern vor allem daran, dass ich spielend schnell Texte auswendig lernen konnte und auch keinerlei Angst hatte vor Publikum zu singen. So kam es, dass ich vom Kindergarten bis zum Ende der Grundschule, Weihnachtsfeier für Weihnachtsfeier "Josef lieber Josef mein" gesungen habe und das Jesuskind gewiegt habe.
Lange war ich mit der Rollenvergabe einverstanden. Immerhin war Maria ja eigentlich auch jüdisch und sie durfte auf einem Esel reiten, und der wurde von Christoph (in den ich ein bisschen verliebt war) gespielt, den ich in einer Szene drehbuchmäßig lange streicheln durfte. - also für mich ging das voll klar. Allerdings wär ich eigentlich lieber Engel geworden, weil das weiße lange Kostüm, mit dem vielen Glitzer und den goldenen Flügeln, viel schöner war, aber dafür fehlten mir deutlich die langen hellen Haare und vermutlich auch das selige Gesicht. Jedenfalls war ich insgesamt ganz d`accord mit meiner Rolle als Maria.
Im letzten Jahr jedoch war es anders.
Ich wollte die Maria nicht mehr spielen. Es hat (mir) nicht mehr gepasst. Ich war der Rolle irgendwie entwachsen und fühlte mich unangenehm festgelegt. Aber als niemand bereit war, die Rolle zu übernehmen, ließ ich mich dazu überreden, sie nochmal zu spielen.
Am Tag der Aufführung stand ich dann widerwillig da in meinem Kostüm mit dem roten Kleid und dem blauen Schleier und bemerkte plötzlich:
Ich hab Jesus vergessen.
Jesus- das war nämlich meine Baby-Puppe Muri, die Jahr für Jahr ebenfalls mitspielen durfte: mit einem weißen Tuch umwickelt und dann als Jesuskind beim Spiel von mir geboren und in die Krippe gelegt.
Aber diesmal lag mein Jesus zu Hause im Kinderzimmerregal. Ich kann nicht mal sagen, ob ich das mit Absicht getan hatte. Ich weiß nur: Ich wollte die Maria nicht mehr spielen, und schon gar nicht wollte ich, dass irgendjemand denkt, dass ich noch mit Puppen spielen würde.
Jedenfalls hatte ich kein Jesuskind dabei.
Meine Lehrerin war wütend. Sowas war mir doch noch nie passiert.
Mein Vorschlag, sich die kleine Schwester eines Klassenkameraden auszuleihen, die noch ein Baby war und im Kinderwagen im Foyer stand, traf nicht auf allzu viel Begeisterung. Schließlich fiel mir Hotte ein, das klasseneigene Zotteltier aus der Leseecke. Ich holte ihn aus dem Klassenzimmer hinter die Bühne. Hotte, das Zotteltier, hatte ungefähr die Größe, die man so als Jesuskind in der Krippe hat. Ich wickelte Hotte in die Tücher, sodass er kaum herausguckte und so musste es gehen.
Und so ging es auch.
Kaum betraten wir den Stall, zog ich Hotte unter meinem Gewand hervor und legte ihn in die Krippe. Im Publikum schien niemand zu bemerken, dass da ein Zotteltier statt eines Babys in den Leinen steckte. In mir allerdings löste dieses Hottekind eine Menge Gedanken aus.
Was tut man als Mama, wenn man ein Baby hat, dass so ganz anders aussieht und ist, als man es erwartet hat? Würde man ein hässliches Baby auch in Leinen hüllen, und zwar so, dass niemand es sieht? Würde man sich für das Kind schämen? Und wie schrecklich muss sich das für das Kind anfühlen, wenn man es vor der Welt versteckt? Wenn man es vielleicht nicht liebt.... Ich steigerte mich so sehr in diese Gedanken rein, dass ich beim Schlusslied trotzig und entschlossen nach dem Hotte-Jesuskind griff, es aus der Krippe holte und es dem Publikum stolz als meinen Sohn präsentierte ...unter dem tadelnden Blick der Lehrerin. Aber ich hielt Hotte gut sichtbar weiter in meinem Arm, als sei dies der schönste Heiland ever.
- Und das ist für mich bis heute DIE Weihnachtsmessage geblieben: Jeder verdient Liebe. Auch und vor allem die, die nicht der Norm entsprechen. Und besonders die, die weniger lieb gehabt werden deswegen.
In diesem Sinne: Euch schöne und LIEBEvolle Weihnachtstage!