Vom ursprünglichen Quartett ist nur noch Jörg Hartmann übrig; mittlerweile ist mit Rick Okon sogar einer der Ersatzleute schon wieder ausgeschieden. Stets ist es dem WDR gelungen, das Niveau darstellerisch mindestens zu halten, wenn nicht sogar zu steigern. Am Grundkonzept des Autors hat sich ohnehin nichts geändert: Die Mitglieder der Mordkommission haben mindestens so sehr mit sich selbst zu kämpfen wie mit ihren Fällen.
Besonders betroffen war dabei der von Hartmann bravourös als innerlich zerrissener Ermittler verkörperte Hauptkommissar Peter Faber, dem es regelmäßig wie einst Herakles im Kampf gegen die Hydra ergeht: Schlug der mythologische Held der Wasserschlange einen ihrer neun Köpfe ab, wuchsen an dessen Stelle zwei neue. Auch Faber sieht sich innen wie außen mit immer wieder neuen Feinden konfrontiert. Das Verbrechen schläft ohnehin nie, aber genauso viel Ungemach bereiten ihm die Auseinandersetzungen im Präsidium. In "Abstellgleis", Fall Nummer 26 für Faber (wenn man seinen Ausflug nach München nicht mitzählt) und Drehbuch Nummer 14 des Autors für den "Tatort" aus Dortmund, lässt Werner zu allem Überfluss auch noch einen alten Kontrahenten auferstehen.
Diesmal sieht es ohnehin nicht gut aus für den Kommissar: Der Leiter der Kriminaltechnik, Sebastian Haller (Tilman Strauß), ist erstochen worden. Alle wissen von den ständigen Sticheleien zwischen den beiden: Faber hat dem KTU-Chef die Schuld am Tod seiner Partnerin Martina Bönisch gegeben. Eindeutige DNS-Spuren lassen ihn zum Hauptverdächtigen werden; für die neue Dezernatsleiterin Klasnić (Alessija Lause) eine willkommene Gelegenheit, den unbequemen Kollegen loszuwerden. Was nun folgt, ist einerseits erwartbar, weil das Drehbuch dem gewohnten Konzept solcher Konstellationen folgt: Faber taucht unter. Da Motiv, Gelegenheit und Indizien gegen ihn sprechen, muss er den wahren Mörder finden, um seine Unschuld zu beweisen. Andererseits hat Werner seine Geschichte clever um einen weiteren Fall ergänzt. Auf den ersten Blick hat das eine nichts mit dem anderen zu tun: Eine Frau ist vorsätzlich überfahren worden, die Ermittlungen führen zu ihrem Ex-Freund, einem Galeristen. Dass die Morde zwei Seiten derselben Medaille darstellen, ist wenig überraschend, aber wie sie letztlich zusammengehören, ist ziemlich clever.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Außerdem erfreut Werner durch einen weiteren Coup: Normalerweise könnte Faber mit der Unterstützung seiner Kollegin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) rechnen. Um die vorhersehbare Rückendeckung auszuschließen, hat die Vorgesetzte um externe Unterstützung bei der internen Ermittlung gebeten: Für Daniel Kossik (Stefan Konarske), 2017 zum LKA nach Düsseldorf gewechselt, wäre es eine erhebliche Genugtuung, seinen früheren Chef des Mordes zu überführen. Faber hatte nie viele Freunde, aber Kossik gehörte garantiert nicht dazu. Selbst auf die Unterstützung von Rechtsmedizinerin Leitner (Sybille J. Schedwill) kann er sich nur kurz verlassen: Ein neuer Kollege (Stefan Haschke) verpetzt seine Chefin, sie wird suspendiert.
Regie führte Torsten C. Fischer, "Abstellgleis" ist sein dritter Ruhrgebiets-"Tatort". Fischer hat für den WDR bislang vor allem sehenswerte Sonntagskrimis aus Köln gedreht, aber – jeweils nach Drehbüchern von Werner – auch zwei Schlüsselfälle für das Dortmunder Team: In "Monster" (2020) starb endlich Fabers alter Widersacher aus den ersten Filmen, und "Liebe mich!" war die letzte Episode mit Anna Schudt als Martina Bönisch. Diesmal ist schon der Auftakt raffiniert: Im Prolog schleichen Faber und Herzog mit gezückter Waffe über den Container-Terminal. Eine halbe Filmstunde später entpuppt sich die Szene als Vorgriff. In Wirklichkeit konnte der Kommissar dank eines herannahenden Zuges, der ihn beinahe überrollt hätte, verschwinden; Herzogs Pistole war auf ihn gerichtet.
Am Schluss, als die Kollegin dem Fall ein überraschendes Ende setzt, greifen Werner und Fischer diesen Moment noch mal auf. Neben der Frage nach dem Motiv für ihre Tat gibt es noch weitere lose Enden, die der nächste Film hoffentlich miteinander verknüpfen wird. Dann sollte unbedingt auch Malick Bauer wieder mit dabei sein. Der 2024 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Titeldarsteller der Disney-Serie "Sam – Ein Sachse" spielt einen uniformierten Polizisten, der von Kossik zum neuen Teammitglied befördert wird und ein Auge auf Herzog haben soll.