Schlittern – oder wie Gott mir Beine machte

Schlittern – oder wie Gott mir Beine machte
Eine leise Erzählung in lauten Zeiten, wenn alles ins Rutschen gerät. Der erste Spiritus-Blog von Bettina Schlauraff.

Feiner grauer Regen nieselt seit dem Morgen und wird zusammen mit dem eisigen Wind zu einem feuchten Eindringling bis auf meine Haut. „Slap!“ macht es unter dem rechten Fuß und der linke setzt schnell nach. Ich halte die Luft an. „Slap!“ Nochmal. Unerwartet schlurft mein rechter Fuß mehrmals und maximal unelegant nach vorne, weg über die frisch vereisenden Pflastersteine. Unwillkürlich wölben sich meine Schultern und Arme leicht nach oben, wie wenn ein großer Vogel in meinen Mantel eingezogen wäre. Die Hände vereisen automatisch auf halber Höhe abgespreizt, als würde ich mich auf unsichtbare Geländer stützen. Zeitlupenartig hebt sich mein nächster Fuß, um tastend neuen Stand auf dem weggleitenden Boden zu suchen.

Um mich herum beginnen auch alle anderen Leute wie in einer bizarren Breakdance-Performance in gewölbten Bewegungen ihren Weg fortzusetzen. Links neben mir öffnet sich die Tür zum Friseurladen und eine Gisela oder Renate gerät vor mir völlig ahnungslos ins Rutschen und landet mitten in einer Gruppe jüngerer Männer, die sich aneinander festhalten und die frisch frisierte Dame schüchtern mit den Händen auffangen. Ein Stück weiter sehe ich zwei Männer ohne eigenes Zutun lautlos und sich aneinander festklammernd über den Bürgersteig Richtung Bordstein gleiten.

Ich  bewege mich, wie alle um mich herum, wie ein merkwürdiges Wesen, dem das Laufenkönnen unerwartet abhandengekommen ist.

Plötzlich fängt einer der jungen Männer an. Einer fängt an, mit kräftigen Zügen - erst rechts, dann links ausholend - nach vorne zu schlittern. Schwungvoll und wie auf Kufen rutschen plötzlich alle um mich über Bürgersteige und Straßen weiter auf ihren Wegen. Links vor mir ein leises Kichern. Renate oder Gisela aus dem Friseurladen stützt sich gerade auf einen der jungen Männer, während sie gleich einem Eislaufpaar in eine Einfahrt zu ihrer Haustür schlittern, er ihre beigegoldene Handtasche über dem Arm.

Aus schweren Schritten, Ausgleiten und unsicherem Tippeln ist ein stillvergnügtes leichtes Gleiten geworden. Auch meine eigenen Schritte spritzen zaghaft und etwas verschämt nach vorn. Ob mich jemand beobachtet? Ich schaue mich um. Dann schreite ich verwegen weiter aus und schlittere los. Links. Rechts.

Gerade noch hatte ich mich mit der Nachbarin besorgt gefragt, wo das Land mit all diesen schweren ungeklärten Fragen und lauten Themen nur hinschlittern würde. Und ich hatte darüber nachgedacht, wo ich selbst gerade hineinschlittern würde mit so manchen persönlichen Entscheidung. Es ist mir aber für diesen Moment, als könnte ich auch über das hochgefährlich vereiste Lebenspflaster dieser Welt hinweg gleiten. Einfach drüber schlittern, ohne die Last der Schritte zu spüren. Ob das irgendwie Sinn macht, ist mir gerade egal. Heute schlittere ich wie lange nicht mehr und es hat eine Bedeutung. Mein Tag hat unerwartet Schwingen bekommen von oben her.

#challengefürdiewoche  …… Schlittere mal wieder!

… So schlittere ich mit diesem Text schwungvoll aus Magdeburg in das Autorinnenteam vom Spiritusblog.

SPIRITuell sind für mich Dinge, Worte, Menschen, Orte, die mich kurz heraus ziehen, die mich ausruhen lassen, die mich anstoßen und inspirieren aus  dieser Welt - LichtderWelt-Momente, die ich wie verrückt suche.

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