Wenn Dana früher morgens aufwachte, dann ist ihr als erstes ein Wort eingefallen, das man früher in den Giftschrank gesperrt hat. ‚Shit’ heißt das heute auf Englisch. Das war also ihr erstes Wort, die erste Regung am Tag: „Shit“
Dana ist 28. „Damals“ ist 4 Jahre her. In der Zeit klappte wenig. Ihr Freund hatte sich abgesetzt, Dana suchte eine neue Arbeit und musste aus der gemeinsamen Wohnung raus. Als sie zu mir kam, erzählte sie von alledem - wir kannten uns aus dem Konfirmandenunterricht. Sie hatte damals auch schon oft so geguckt, als bestünde die Welt weitgehend aus Schlechtem, aus Shit.
Und ich hatte sie getauft – kurz vor der Konfirmation. Mit einem Satz aus der Bibel, den Jesus gehört hat als er selbst getauft wurde: „Du bist mein geliebtes Kind, an Dir habe ich Freude.“ So war’s aus dem offenen Himmel über ihm geklungen. Schönes Wort. Ich seh’ sie noch stehen bei der Taufe, schön und stolz und traurig. Und über ihr dieser Satz, ungehört.
Warum sie gekommen war? - Naja, mal reden. Ihre Mutter hatte gesagt, geh doch zu dem, den kennst Du. Also haben wir geredet.
Ich hab sie bald gefragt, wie sie ihren Tag beginnt, und da kam raus, was ihr erstes Wort war. Eben dieser Fluch. Das war aber schon lange so, länger als die Krise mit ihrem Liebhaber. Immer dieser Fluch auf alles, noch bevor der Tag begonnen hat.
Dabei ist der Anfang des Tages so wichtig, fast so wichtig wie die ersten Eindrücke, die ein Baby von der Welt abbekommt. Bin ich hier richtig? komme ich gut an auf der Welt? Wird mir der Tag gewogen sein?
Wir entdeckten gemeinsam, wie es angefangen hatte mit diesem Wort: An einem Dienstagmorgen vor 16 Jahren brachte Mama die Nachricht ans Bett - Vater gestorben, Herzinfarkt. Was soll man da anderes tun als fluchen und sich verlassen fühlen?!
„Also Dana,“ sag ich, „leg Dich mal hier hin hier in die weiche Decke und wir spielen Aufwachen.“ Wir spielen also Aufwachen. Wieder ihr Fluch.
Ich schlage ihr ein neues Wort vor, das wir aus dem Wortschatz ihres Vaters hervorkramen: „Komm mal her, Kleine, das wird schon.“ Das hat er gesagt, wenn sie losgefahren ist mit dem kleinen neuen Fahrrad oder wenn die Lehrerin ihr dumm kam. Dann allerdings konnte er’s nicht mehr sagen, weil er starb. Da war Dana 8.
Shit.
Daher das Wort.
Jetzt hört sie ihren Vater morgens zu sich reden, wenn sie aufwacht. Dann sagt er: „Komm mal her, Kleine, das wird schon.“
Und der Himmel steht auch ein bisschen offener und raunt: „Du bist mein geliebtes Kind, an Dir habe ich Freude.“
Jetzt hört sie hin und ihre ihre Tage fangen neu an.