Jedes Jahr Ende Februar sendet mir meine Oma einen zärtlichen weißen Gruß aus dem Himmel. Nämlich immer dann, wenn die Schneeglöckchen vor unserer Haustür ihre Blütenkelche öffnen und mir zurufen: Bald ist Frühling. Bald!
Diese Schneeglöckchen hat sie eigenhändig vor zwanzig Jahren aus ihrem Garten ausgegraben und sie vor unserem Haus wieder eingesetzt. Und seither blühen sie jedes Jahr.
Beharrlich. Freundlich. Tapfer und treu.
Seit über fünfzehn Jahren schon ist meine Großmutter tot, aber die kleinen weißen Blütenglocken erinnern mich an sie. Als schriebe sie mir mit den Blüten eine Nachricht ins Gedächtnis.
Bald ist Frühling. Bald.
Und dann frage ich mich, ob sie da oben auch Blumen hat, die ihr Grüße von mir senden. Kleine blumige Blüten, die sich wie ein Brief von mir duften....
In einem alten Midrasch-Text wird erklärt, dass Kinder, bevor sie hier auf dieser Welt geboren werden, im Paradies leben. Im Garten Eden. Und vielleicht, wenn ich da mal war, habe ich womöglich dort auch Blumen gepflanzt für meine Oma, die ja nur einen Wimpernschlag vor mir auf diese Welt kam... und nun vielleicht wieder dort ist und sich an diesen Blumen erfreut...
Jedenfalls hilft mir diese alte Talmudische Legende, die übrigens von Itzig Manger in eine schelmisch-traurige Erzählung umgesetzt wurde ( Das Buch vom Paradies), die Erinnerung an meine Oma mit Blumen auszuschmücken und zu verknüpfen: Ich komme nach Hause und meine Oma wartet blühend vor der Haustür auf mich.... schaut manches Jahr sogar aus dem Schnee raus und ruft mir zu: Bald ist Frühling. Bald!
Eine andere talmudische Erzählung handelt von einem alten Mann, der kurz vor Shabbat zwei Myrtenbündel nach Hause trug. Als die Leute ihn fragten, weshalb er zwei Sträuße dafür benötige, antworte er:
Das eine ist für זכור ›Sachor‹ (erinnern),
das andere für שמור ›Schamor‹ (einhalten).
Die Myrten waren also nicht nur hübsche und wohl riechende Blumendekoration, sondern sie wurden Teil des Shabbatgedankens.
Blumen sind also in jedem Fall ein Geschenk an uns Menschen.
Sie sind ein Flüstern aus dem Paradies.
Vielleicht ein Gruß aus dem Garten Eden.
Und sie können unsere Vorbilder sein.
Sie versuchen einfach dort schön zu blühen, wo man sie hingesetzt hat.
Sie verschwenden sich an die Welt.
Sie entscheiden sich für den Frühling.
Sie malen die Welt wieder bunt, wenn sie grau ist.
"Blumen wachsen, indem sie in dunklen Zeiten Wurzeln schlagen", sagte Corita Kent. Und dunkel sind unsere Zeiten allemal.
Es gibt also viele Gründe, gerade jetzt füreinander eine Blume zu sein.
Oder wenigstens eine Blume zu verschenken.
Denkt dran:
Bald ist Frühling. Bald.