Man sieht eine Felsformation über dem Wasser - herausgewaschen vom Fluss.
Auf den zweiten Blick dann erscheint eine Figur.
Ihre Gestalt hat etwas von einem Zuckerhut, auch ihre Umgebung.
Eine Parabel, eine Aura vielleicht.
Niemand hat das hergestellt. Es war da, immer schon. Und eines Tages sieht man es.
Mein Auge erkennt etwas, weil es das kennt: Offene Arme, ein Kopf, die Gestalt. In mein Gedächtnis eingraviert ist die Mutter, der Freund, die Freundin, vielleicht auch eine priesterliche Figur. Mein Körper weiß, wie es ist, wenn jemand sagt: Komm, ich bin da.
Als das Foto entstand, habe ich diese Figur nicht gesehen. Sie wohnt im Tessin unterhalb Vogorno und etwas oberhalb des Stausees flußaufwärts rechts. Wie Fotografen so sind, sie ahnen, dass 'da was ist' und halten drauf. Zuhause erst entdeckte ich die Silhuette.
Vielleicht ist es oft so. Eingraviert in eine Szene oder eine Begegnung ist noch etwas anderes, aber das innere Auge ist dafür nicht bereit. Es bemerkt, was es sehen möchte und weniger, was sich zeigen will.
Im Moment sind viele Blicke abgerichtet auf Vorsicht, manchmal Misstrauen. Jemand weicht mir auf dem Gehsteig aus, vermutlich wegen der Infektionslage. Ich fühle mich leicht aussätzig und bemerke erst im letzten Moment das Lächeln im Gesicht der anderen. Es war von Anfang an da. Aber mein genervtes Gemüt wollte 'Vermeidung' sehen.
So sehr uns die Natur im Moment mit ihrer Eigenmacht bedroht, so klar hält sie auch Gesten des Trostes bereit. Der Wald, der leise wächst - von selbst. Der Schlaf, der Hunger, das Gelächter. Nichts, was man steuern würde. Es kommt wie das Virus und es hält uns mächtig am Leben. Von der Liebe ganz zu schweigen. Auch etwas, was man nicht verhindern könnte.
Ich mag glauben, dass bei meiner Zeugung und der Geburt die Natur (und darin Gott) einverstanden waren mit mir. Mehr noch, irgendwas wollte mich und erhält mich. Der gleiche Kosmos, der Mikroben aus sich entlässt, kreiert Menschen, Paare, Verstand und Küsse.
Diese Annahme, dieser Blick auf das Unheimliche am chaotischen Geschehen des Lebens könnte helfen in Zukunft. Man würde dem Tier sein Feld, dem Feld das Korn nicht rauben. Man würde empfangen, was da ist, bevor ich war und rauben konnte. Man könnte sogar Krankheiten neu deuten.
Aber zuerst würde es helfen zu glauben, dass mir im Fels, im Wind, im Gesicht, in einer Stimme, in einer Zelle des Körpers, auch einer verkehrten, etwas entgegen kommt, was ich erst noch entdecken soll.
Gott ist neugierig auf mich, und überall wartet Offenbarung.