Weißsein. How much I don´ t know.

Weißsein. How much I don´ t know.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten.
Und mich selbst in dieser Welt.
Immer noch: Mein eigenes Weißsein.

In diesem Artikel im SPIEGEL https://www.spiegel.de/kultur/kritischesweisssein-aufruf-von-malcolm-ohanwe-zur-selbstreflexion-weisser-leute-a-2892bccb-2971-40c7-a272-4224ebe0d48b hat der Journalist Malcolm Ohanwe weiße Menschen aufgefordert, über ihr Weißsein zu schreiben. Ich will es tun, es leuchtet mir ein, dass es wichtig und notwendig ist - aber es ist ungeheuer schwer. Denn Weißsein ist für mich unsichtbar, weil es so selbstverständlich ist. Weißsein ist in meiner Welt die Norm. Schwarzsein ist die Abweichung. (So wie Mannsein immer noch die Norm ist, nicht-behindert, cis, heterosexuell).

Mein eigenes Weißsein ist mir überhaupt nicht bewußt. Die Kosmetikregale im Drogeriemarkt sind voll von Farben, die für meinen Hautton hergestellt werden. Im öffentlichen Raum bewege ich mich gänzlich unauffällig - es ist höchstens meine Kleidung, die ins Auge fällt. Wenn ich das nicht möchte, ziehe ich eben kein rotes Kleid an. Und wenn ich eine fette Plastikgoldkette trage, dann schließt niemand dadurch zurück auf ein eventuelles Vorstrafenregister. Meine ungeglätteten Haare sind einfach nur meine Haare, kein politisches Statement. Diese Texte hier für den Spiritusblog und all meine anderen Texte schreibe ich, ohne dass je jemand nach meiner Hautfarbe gefragt hätte. Ich schreibe viel über Dinge, die mich berühren, weh tun, an denen ich scheitere, über die ich zornig bin. Noch nie hat jemand in die Kommentare unter meine Texte etwas geschrieben, was sich auf irgendeine Nationalität bezog oder auf den Geburtsort meiner Eltern oder Großeltern oder eben eine Hautfarbe.

Robin di Angelo ist eine US-amerikanische Antirassismus-Trainerin. In ihrer Arbeit stellt sie weißen Menschen wie mir scheinbar einfache Fragen: Wann hattest du zum ersten mal eine Lehrerin, die die gleiche Hautfarbe hatte wie du? (ich: in der ersten Klasse) Wann hattest du zum ersten mal einen Lehrer, der nicht die gleiche Hautfarbe hatte wie du? (ich: Noch nie - nicht in der Schule, nicht an der Uni, bei keiner Fortbildung auf der ich je war. Alle meine Lehrer*innen waren weiß, alle meine Therapeut*innen, Ärzt*innen, alle Leiter*innen aller Seminare, die dazu beigetragen haben, dass ich heute die bin, die ich bin - alle, alle waren sie weiß). Wann hast du zum ersten Mal einen Film gesehen, in dem die Hauptdarstellerin die gleiche Hautfarbe hatte wie du?
(mehr über Robin di Angelo und darüber, was die Folge davon ist, dass Weißsein so selbstverständlich ist, steht in diesem sehr sehr lesenswerten ZEIT-Artikel von  Bastian Berbner (Paywall): https://www.zeit.de/2020/30/rassismus-alltag-versteckt-vorurteile/komplettansicht

Ich habe erst vor wenigen Jahren begonnen, Bücher von schwarzen Autor*innen zu lesen: Americanah von Chimamanda Adichie zum Beispiel. Ich schaue Serien wie „Orange is the new Black“, wo die weiße Hauptfigur eine Türöffnerin ist für die Geschichten von schwarzen Frauen und Frauen of Color. Ich folge eher zufällig schwarzen Fashionbloggerinnen auf Instagram und höre von ihnen seit dem Mord an George Floyd etwas darüber, was es heißt schwarz zu sein, das weit über Modefragen hinaus geht. Mein Denken und Schreiben wird seit einiger Zeit beeinflußt von schwarzen Intellektuellen wie Sharon Dodua Otoo und Alice Hasters. All das sind bewußte Entscheidungen. Ich muß sie von mir aus treffen. Denn als weiße Frau in der evangelischen Kirche in Deutschland zwingt mich kein einziger Umstand dazu, das zu tun. Ich kann immer noch all meine Arbeit tun, erfolgreich und wirkungsvoll sein, ohne eine Sekunde über mein Weißsein nachzudenken. Ich kann mich aufgeklärt und antirassistisch fühlen und behaupten, „keine Farben zu sehen“, ohne je zu bemerken, dass selbst der Jesus am Kreuz über dem Altar weiß ist. Dabei macht es doch lebendig, im Denken und Fühlen und Glauben weiterzukommen. Immer wieder sich und seine Privilegien zu reflektieren und genau so nach Gott* zu fragen, der so viel mehr ist als meine weiße Mittelschichtswelt. Gott*, die Gerechtigkeit will, Platz für alle, da bin ich sicher. Deren Sache ich viel besser dienen kann, wenn ich weiterfrage und höre und lerne.

Ich übe also. Und ehrlich gesagt, es ist nicht nur angenehm. Weil ich merke, wie beschränkt meine Weltsicht ist. Wie wenig ich weiß. Wie verletzend meine Selbstverständlichkeiten für andere sein können. Dass es auch an mir ist, Plätze zu räumen, um anderen Stimmen Raum zu geben. Plätze, von denen ich dachte, ich hätte sie doch verdient.

„Awareness is understanding how much you don’t know.“ sagt die Künstlerin Ayishat Akanbi in diesem klugen Talk: https://www.youtube.com/watch?v=N3ZjTg1OpIE  „You welcome being wrong, its a pleasure to be wrong. Maybe the first sign of knowing anything is knowing you know nothing at all.“

 

Wochenaufgabe also für mich und für dich, wenn du weiß bist:

Gestehe dir ein, wie wenig du weißt.

Lies in diesem Sommer wenigstens ein Buch eine*r schwarzen Autor*in und/oder schaue wenigstens eine Serie mit einer nicht-weißen Hauptfigur.

Wenn du betest, denke daran, dass Jesus nicht deine Hautfarbe hatte.

 

 

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