"Sea-Watch 4" sucht mit rund 200 Geretteten sicheren Hafen

"Sea-Watch 4" sucht mit rund 200 Geretteten sicheren Hafen
Norah und Marie (li) übernehmen die Begrüssung an Board des EKD Rettungsschiffs
©Thomas Lohnes
Norah und Marie (von rechts) übernehmen die Begrüßung und Einweisung der Geretteten an Bord der "Sea Watch 4" .
Innerhalb von 48 Stunden hat die Crew der "Sea -Watch 4" mit drei Rettungsaktonen über 200 Menschen aus dem Meer geborgen. Ein sicherer Hafen ist nun angefragt. Das überwiegend aus kirchlichen Spenden finanzierte Rettungsschiff fährt zurück Richtung Norden. Für evangelisch.de ist die Journalistin und Pfarrerin Constanze Broelemann an Bord und schreibt dazu in ihrem Blog "Seenotizen":

Am frühen Morgen des 24. August wurden die zuständigen Behörden sowie die "Sea-Watch 4" von der Organisation Alarmphone über einen Seenotfall mit rund 100 Menschen etwa 50 Seemeilen vor der libyschen Küste informiert. Das Schlauchboot wurde am frühen Morgen von dem Öltanker VOS Triton entdeckt. Kurz darauf erreichte das Rettungsschiff "Louise Michel" das Schlauchboot, versorgte die Menschen mit Rettungswesten und beobachtete den Zustand des Bootes bis zur Ankunft der "Sea-Watch 4", die sowohl für die Bergung als auch für die medizinische Versorgung der Menschen besser ausgerüstet ist.

Trotz hohen Wellengangs konnten die Schnellboote der "Sea-Watch 4" junge Männer, Jugendliche und Kinder bergen. Ihr Zustand war nach zwei Tagen des Treibens auf offenem Meer schwach, teilweise orientierungslos. Einige zeigten Symptome starker Belastung durch Benzindämpfe. Das Team von "Ärzte ohne Grenzen" entschied bei fast allen Personen Notfallduschen zu machen und sie aus der Benzin-getränkten Kleidung zu befreien. Seekrankheit, Dehydrierung, Unterkühlung werden weiterhin behandelt, und die Geretteten werden rund um die Uhr beobachtet.

Der dritte Rettungseinsatz der "Sea-Watch 4" vor der libyschen Küste. Es sind nun insgesamt über 200 Menschen sicher an Bord.

Die dritte Rettungsaktion war für die ganze Crew enorm anspruchsvoll. Der hohe Wellengang und die Notwendigkeit, dass fast alle 100 Geretteten abgeduscht, in Rettungsdecken gehüllt, registriert und auf dem Deck platziert werden mussten, forderte nochmal höchsten Einsatz von der Crew. Auch ich persönlich war gefordert, half beim Abduschen, Abtrocknen der Geretteten und schlang - ich weiß nicht wie viele - Notfalldecken um ihre Körper.

Noch am Abend davor hatte ich bis 24 Uhr Aufsicht an Deck und wurde bereits um 4.30 Uhr des nächsten Morgens geweckt, weil wir direkt vor uns einen weiteren Seenotfall hatten. Auf der Brücke entschieden Kapitän und Crew, noch in der Dunkelheit die Schnellboote ins Wasser zu lassen und trotz enormen Wellengangs (in der Nacht hatte es Windstärke 5) die Menschen zu bergen. Mein Fotografenkollege erzählte mir, was für eine überragende Leistung die Fahrer der Schnellboote hingelegt hatten. X-mal fuhren sie hin und her, um die Menschen an Bord der "Sea-Watch 4" zu bringen.

Die Crew hat in den frühen Morgenstunden trotz enormen Wellengangs die dritte Rettungsoperation innerhalb von 48 Stunden ausgeführt.

Die vielen Menschen aus fernen Ländern, der Geruch nach Benzin, die Anspannung im Rettungsprozess - ich habe es durchgehalten. Es war hart. Crew-Mitglieder sprachen mir ein Lob aus, was mich berührte. Denn es war unfassbar anstrengend. Zu der Rettung kommen derzeit ja noch die Covid-19-Maßnahmen, die uns zwingen, mit Maske, Overall, Rettungswesten, schweren Schuhen in der Sommerhitze zu arbeiten. Jedes Mal, wenn wir von Deck, auf dem die Geretteten dicht an dicht sitzen, zurückkommen, müssen wir unsere gesamte Kleidung in einem Extraraum lassen und uns ordentlich desinfizieren.

Ein Sudanese, der jetzt bei uns an Bord ist, erzählte mir, dass er seit Februar dieses Jahres unterwegs sei. Die Flüchtenden durchqueren mit Jeeps die Sahara. Nur die Hälfte überlebt das. Dann geht es nach Libyen, für die meisten unter ihnen ein Land des Schreckens mit Folter und Gewalt. Dort können sie von organisierten kriminellen Schlepperbanden einen Platz in einem Gummiboot für 1.000 US-Dollar kaufen, ohne Gewissheit zu haben, jemals über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Zögert jemand kurz vor der Abfahrt, auf das Boot zu steigen, wird er erschossen. Denn er hat das Gesicht des Schleppers dann bereits gesehen. Jemand von der Crew erzählt mir, dass einige Libyer sogar zweigleisig fahren. Einerseits sind sie Schlepper und Menschenhändler, und andererseits patrouillieren sie für die libysche Küstenwache. Aufgrund dieser Verhältnisse spricht der Verein "Sea Watch" von der "sogenannten" libyschen Küstenwache.

©epd-Video /Die "Sea-Watch 4" hat am Sonntag vor der libyschen Küste knapp hundert Menschen aus Seenot gerettet. Quelle: Matthias Pabst, Thomas Lohnes (ekn)

Die Männer des dritten Bootes kamen ohne etwas. Ihre SIM-Karten mit ein paar Kontakten haben sie im Bund ihrer Unterhosen versteckt. Sie liegen von Seekrankheit gebeutelt am Boden. Eine Mutter höre ich ihrem Kind eine bekannte Melodie singen - bei uns untermalt sie das Lied "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp". Nur dass sie das nicht in irgendeinem Kinderzimmer singt, sondern auf einem Schiff, das inzwischen wie ein Flüchtlingslager auf dem Meer aussieht.

Cisse Amirata mit Baby Ali (1,5 Jahre) von der Elfenbeinküste wurde am 24.08.2020 gerettet.

Zu essen gibt es Couscous und Reis, mal mit Tomaten, mal mit Bohnen. Schwarze Jogginghosen, ein Beutel mit Zahnpasta, und -bürste und ein Duschgel sind die neuen Habseligkeiten der Geretteten. Auch eine Schwangere haben wir an Bord.

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Draußen ist Windstärke 5. Zum Glück ist die "Sea-Watch 4" ein auf Stabilität ausgelegtes Schiff, sagt man mir. Sonst wäre wohl noch die halbe Crew zusätzlich seekrank. Langsam aber sicher nehmen wir Kurs gen Norden. Wir haben viele Menschen an Bord. Die "Sea-Watch 4" kann nicht zu schnell fahren, damit kein Wasser an Deck schwappt und die Geretteten nicht zu sehr durchgeschüttelt werden. Aber es eilt ja eh nicht so: ein "place of safety" - ein sicherer Hafen ist bereits zwei Mal angefragt worden. "Aber das dauert", weiß man hier aus Erfahrung. Und so versuchen wir alle gemeinsam mit dieser Extremsituation auszukommen. Sollte die Stimmung im Keller sein, werden Trommeln verteilt. Ein paar Gesänge und Gebete der neuen Gäste konnte ich schon vernehmen.

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