"Sea-Watch 4" nach expliziter Fehlersuche in Palermo festgesetzt

"Sea-Watch 4" nach expliziter Fehlersuche in Palermo festgesetzt
Inspekteure der italienischen Küstenwache ("Guardia Costeria") haben eine "Porte State Control", eine Art technische Inspektion, auf der "Sea-Watch 4 durchgeführt.
epd/Thomas Lohnes
Inspekteure der italienischen Küstenwache ("Guardia Costeria") haben eine "Porte State Control", eine Art technische Inspektion, auf der "Sea-Watch 4" durchgeführt.
Nach einer elfstündigen Inspektion des Rettungsschiffes fanden die italienischen Kontrolleure nach ihrer Ansicht 22 Mängel, die vor einem neuen Auslaufen der "Sea-Watch 4" behoben werden müssen. Die Festsetzung ist keine Überraschung für die Crew, schildert Constanze Broelemann aus Palermo. Die Behörden hätten schon in der Vergangenheit die Praxis der expliziten Fehlersuche gewählt, um Schiffe von Nichtregierungsorganisationen (NGO) an die Kette zu legen.

Für Kapitän Stevan Nokovic und auch für den Rest der Crew war der vergangene Samstag ein langer Tag. Nachdem das Schiff kurz zuvor das Zertifikat für die "Free Pratique", also die Genehmigung zum erneuten Auslaufen erhalten hatte, erreichte die italienische "Guardia Costeria" das Schiff. Die Offiziere von der italienischen Hafenstaatkontrolle waren von 10 Uhr morgens bis 23 Uhr am Abend an Bord und inspizierten das Rettungsschiff. Grundsätzlich ist das ihr Recht und dient der Sicherheit im Schiffsverkehr.

Am Ende des Tages informierte Stevan Nokovic die Crew, dass die "Sea-Watch 4" vorerst festgesetzt werde und Palermo nicht verlassen dürfe. Diese Nachricht kam für niemanden überraschend. Von oberster behördlicher Stelle in Rom würden die Inspektoren angewiesen, auf Fehlersuche zu gehen, um die NGO-Schiffe aus dem Verkehr zu ziehen. Wie auch schon bei dem Schwesterschiff, der "Sea-Watch 3", bemängelten die Inspektoren, dass an Bord der "Sea-Watch 4" zu viele Personen gewesen seien, das Schiff sei offiziell nur für 30 Menschen zugelassen. Auch die "Toiletten-Situation", also die Dixi-Toiletten, die auf dem Achterdeck des Schiffes sind, wurde bemängelt. Die Toiletten waren für die Geretetten eingerichten worden.

Notfallübungen liefen einwandfrei

Keine Beschwerde gab es hingegen bei den Nofallübungen (Drills), die die Crew vorzuzeigen hatte. Sowohl der "Firedrill" als auch der "Abandon-Ship-Drill" liefen tadellos. Zuletzt musste ein Teil der Crew noch zeigen, wie sie im Fall eines Brandes eine Person aus einem eingeschlossenen Raum befreien würde. "Die Trainings haben sich gelohnt", sagte Nokovic. Der Kapitän erwähnte, dass die Zusammenarbeit mit den Inspektoren trotz allem konstruktiver verlief als erwartet. Diese selbst dankten der Crew für "ihre Kooperation unter diesen Umständen".

Die Hafenstaatkontrolleure prüften auch, ob der "Firedrill" gelingt.

Am Montag wird die DNVGL, eine internationale Zertifizierungs- und Klassifikationsgesellschaft, die "Sea-Watch 4" nochmals unter die Lupe nehmen. "Vermutlich können dann schon einige der angemahnten Mängel behoben werden", so der Kapitän. Wie lange die "Sea-Watch 4" jedoch vor Anker liegen muss, ist heute noch nicht klar.

Vorwurf: Schiff zweckentfremdet

Nach dem Recht des Flaggenstaates des Schiffes, in dem Fall Deutschland, ist das Schiff als Cargoschiff abgenommen und erfüllt alle Anforderungen. Die Italiener hingegen meinen, dass das Schiff zweckentfremdet wird und wollen die Seenotrettung unterbinden. In Deutschland gibt es keine Registrierung als "Rettungschiff", was helfen würde, denn die Situation auf Rettungsschiffen wird anders bewertet. Zum Beispiel gilt die strikte Einhaltung von Arbeitszeiten in der Form nicht.

Ein Crewkollege sagte mir, dass er sich mehr Unterstützung von dem deutschen Flaggenstaat in der Auseinandersetzung mit den italienischen Behörden wünsche. Bis jetzt seien die Deutschen da aber vorsichtig. Die Seenotrettung an den Grenzen Europas bleibt ein hochpolitisches Thema.

Ein entscheiderner Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingpolitik war das "Hirsi-Urteil". Auf dieses berufen sich Organisationen wie "Sea-Watch", wenn sie sich für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer engagieren. Damals, im Mai 2009, wurden über 200 eritreische und somalische Flüchtlinge, die in drei Booten von Libyen nach Italien übersetzen wollten, 35 Seemeilen südlich von Lampedusa von der italienischen Küstenwache und dem italienischen Zoll aufgegriffen. Diese brachten sie auf Kriegschiffe nach Tripolis zurück und zwangen sie in Libyen von Bord zu gehen.

Gerichtshof urteilte zugunsten der Migranten

13 Eritreer und 11 Somalier verklagten später den italienischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der Fall "Jamaa Hirsi et al v. Italien" wurde zur Prüfung angenommen und der Klage später sogar stattgegeben. Das Gericht urteilte, dass der italiensiche Staat die Migranten nicht nach Libyen hätte zurückführen dürfen, da niemand der Folter oder unmenschlicher Strafe ausgesetzt werden dürfe. Das Urteil wurde vom UNHCR als "Wendepunkt" bei der Frage nach der Verantwortung von Staaten im Umgang mit Flüchtlingen begrüßt.

Die Inspektion der "Sea-Watch 4" dauerte insgesamt elf Stunden, 22 Mängel wurden gefunden.

Da es europäischen Künstenwachen aus Gründen der Menschenrechte nun untersagt ist, Menschen nach Libyen zurückzubringen, bildet die Europäische Union eine libysche Küstenwache aus, die die Geflüchteten von der Flucht über das Mittelmeer abhalten oder diese zurück in das Bürgerkriegsland bringen sollen. Der Grenzschutz solle die Migration verhindern. Das Bürgerkriegsland Libyen habe keinen funktionierenden Grenzschutz mehr, heißt es. Dass die libysche Küstenwache für ihren oft harten Umgang und die unmenschlichen Zustände in den Internierungslagern vor Ort immer wieder international in der Kritik steht, ist bis heute aktuell und unverändert.

Von zahlreichen Quellen werden gröbste Menschenrechtsverletzungen belegt. Und nicht zuletzt habe ich selbst hier an Bord der "Sea-Watch 4" von diesen unmenschlichen Zuständen, wie mit Geflüchteten umgegangen wird, fast schon zuviel gehört. Zeitgleich zu unseren doch komfortablen Rahmenbedingungen hier in Europa geschehen in Afrika, das mit uns durch das Meer immer verbunden sein wird, unfassbarer Menschenrechtsverletzungen. Egal, wie man zu einer zivilen Seenotrettung steht: Ich habe das Leid dieser Menschen gehört, gesehen und verstehe viel, viel mehr als vorher. Ich bin froh, hoffentlich ein winziges Stück dazu beigetragen zu haben, dass noch mehr von diesem Unrecht, der Folter, der Vergewaltigung und der Misshandlung dieser Menschen ans Licht kommt.

 

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