Während vielerorts in Deutschland und auch Österreich die Feierlichkeiten rund um den Christopher Street Day (CSD) noch ausstehen, beging Wien seinen Pride Month wie üblich im Juni – dieses Jahr mit einer der größten Wiener Regenbogenparaden der Geschichte. Mit dabei war auch dieses Jahr wieder die Initiative „Religions for Equality“. Seit 2019 schließen sich hier Vertreter:innen verschiedener Religionsgemeinschaften, darunter etwa jüdische, buddhistische und christliche Menschen, zusammen und zeigen Flagge auf der Parade.
Damit wollten wir ein Zeichen setzen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von LGBTIQ-Menschen in unserer Kirche. Im Vorfeld hatten wir uns in der Evangelischen Hochschulgemeinde mehrmals getroffen, um die Aktionen zu planen und Schilder für die Parade zu basteln. Die Idee war, mit Talar rund um die Pride sichtbar als evangelische geistliche Amtsträger:innen Menschen einen spontanen Segen oder ein Gespräch anzubieten. Ebenso nach dem Vorbild der deutschen Nordkirche hatten wir auch einen überlebensgroßen Aufsteller mit bunten Flügeln gebaut und bemalt, der als Fotowand diente. Auf ihm stand: „Ich bin wunderbar gemacht. Psalm 139“.
Mein Schild mit der Aufschrift „OMG – evangelische Pfarrer:innen auf der Parade“, das eine Dragqueen im Talar mit Beffchen zeigte, war eine entschiedene Antwort auf den Shitstorm, den meine Kolleg:innen und ich erhielten, als wir dazu aufriefen, sichtbar als evangelische Pfarrer:innen auf die Parade zu gehen.
Der Shitstorm war zu erwarten gewesen und hat mich schon vorab eher bestärkt als entmutigt: Wenn so viel Gegendruck kommt, es noch immer von manchen als so verwerflich gesehen wird, sich als evangelische (geistliche) Menschen zur Akzeptanz von queeren Menschen zu bekennen, dann ist es umso wichtiger, dass wir genau dieses Zeichen setzen – in den eigenen Reihen einerseits und in der queeren Szene andererseits. Denn schließlich haben dort viele Menschen Ausgrenzung und Beschädigung – etwa ihres Glaubens oder ihrer Gesundheit – erlebt. Es braucht also Handlungen von Seiten der Kirche und ihrer Vertreter:innen, die zeigen: Bei uns bist du safe. Oder auch: Wir wollen etwas wiedergutmachen.
Ebenso bestärkt hat mich im Vorfeld der Parade auch der Zuspruch so vieler Kolleg:innen und anderer Kirchenmitglieder, aber auch bekannter und fremder Menschen in meinem Umfeld. Und dieser Zuspruch, die Solidarität waren übrigens viel größer als der Shitstorm.
Den Höhepunkt jeglichen positiven Feedbacks zu unserer Präsenz auf der Vienna Pride bildeten die Erfahrungen mit unserer Segensstation, die wir mitsamt dem bunten Aufsteller bei der „After Party“ im Votivpark machten. Mutig zogen wir, fünf evangelische Geistliche, unsere Talare an und warteten ab, was passierte: Menschen kamen und sprachen mit uns über ihren Tag, über ihr Queersein, ihren Glauben, ihre Erfahrungen mit Kirche, ihren Wunsch nach Glaubensheimat, nach Akzeptanz. Manche von ihnen wollten sich einfach nur fotografieren lassen unter dem biblischen Zuspruch „Ich bin wunderbar gemacht“, andere – und das waren überraschend viele – nahmen das Angebot an, sich spontan einen Segen zusprechen zu lassen. Ich erinnere mich dabei an Tränen in den Augen, Umarmungen und viel Lächeln – alles zugleich. Für mich war es der berührende Abschluss einer lange geplanten Pop-up-Church-Aktion, die man als mutig bezeichnen kann, aber die definitiv gelungen ist.
Dieses Jahr kamen rund 500.000 Besucher:innen zur Regenbogenparade in Wien. Nach der Euro Pride 2019 war es also die größte Pride in Wien. Es ist außerdem die größte Veranstaltung am Wiener Ring. Es ist immer wieder wichtig, zu betonen, wie viele Menschen der LGBTIQ-Community mittlerweile positiv gegenüberstehen – ob sie nun zur Community gehören oder mit uns feiern. Es ist immer wieder beeindruckend, zu sehen, wie im Pride Month an so vielen Gebäudefronten, Firmen, politischen Häusern sowie allen Öffis die Regenbogenfahne als Zeichen der Solidarität gehisst wird. All das darf aber nicht den Blick verblenden auf die Übergriffe, Gewalttaten und den Hass, die immer noch gegenüber LGBTIQ – auch hierzulande – verübt werden.
In Wien gab es wieder mehrere Beschädigungen von Regenbogenfahnen, Schaukästen usw. an Kirchen. Die Fahnen wurden teils mehrfach heruntergerissen. Dieses Jahr wurde aufgrund der gehissten Pride-Flagge sogar eine evangelische Kirche durch das Werfen von Steinen, die bis zum Gemeindesaal vorgedrungen sind, beschädigt. Und nicht zuletzt wurde einen Tag nach der friedlich und fröhlich abgelaufenen Parade durch die Polizei bekannt gegeben, dass es Anschlagspläne von drei jungen Männern gegen die Menschen auf der Parade gegeben hätte. Diese seien eine Stunde, bevor der bunte Zug losging, vereitelt worden.
Wo ist hier der Aufschrei, die Solidaritätsbekundung, die Distanzierung von jeglicher Gewalt gegen queere Menschen (und ihre Verbündeten) gerade nach solchen Vorfällen? In der Wiener Superintendenz (Diözese) sind wir seit den Erfahrungen des letzten Pride Month zwar stärker denn je geworden - denn viele haben sich zusammengetan, um sich für die Umsetzung der Gleichbehandlung und die Sichtbarkeit von LGBTIQ in der Kirche einzusetzen. Gleichzeitig gibt es aber bisher keine offizielle Positionierung unserer kirchenleitenden Personen (ein Superintendent ausgenommen) – und das, obwohl so viele weltliche und geistliche Mitarbeitende sowie andere Kirchenmitglieder (darunter auch viele junge) sich wünschen, dass ihre Kirche endlich auch nach außen Regenbogenfarbe bekennt. Unabhängig von theologischen und ekklesiologischen Auseinandersetzungen zum Thema queere Lebensweisen muss Kirche und ihre Leitungsorgane als wichtige Repräsentant:innen sich entschieden gegen Übergriffe gegen LGBTIQ sowie deren Ausgrenzung positionieren und sich zur Akzeptanz bekennen.
Während zum Beispiel die Landeskirche Hessen-Nassau zur Akzeptanz von LGBTIQ aufruft und queere Menschen kürzlich um Vergebung bat, stehen wir in Österreich offensichtlich noch an einem ganz anderen Punkt – und zwar gefühlt noch nicht einmal am Anfang. Die Situation der evangelischen Kirche in Österreich als Minderheitenkirche ist freilich eine andere als in Deutschland. Es braucht hier oft andere Wege, um zum Ziel zu kommen. Aber es braucht Wege. Und die müssen geebnet werden – von verschiedenen Menschen auf den verschiedenen Ebenen der Kirche. Ich finde, jetzt ist die höchste Ebene dran.